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I
1963 leiteten
Deutschland und Frankreich eine Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit
und Verteidigung ein, deren Intensität einzigartig ist und
die den ersten Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen
Politik auf diesem Gebiet darstellte. Ergänzt wurde der Élysée-Vertrag
durch die Gründung des deutsch-französischen Verteidigungs-
und Sicherheitsrats im Jahre 1988, dessen 15-jähriges Bestehen
wir heute begehen.
Ein überaus
dichtes Netz von Beziehungen zwischen den beiden Armeen ermöglichte
die Gründung der deutsch-französischen Brigade im Jahre
1988 und des EUROKORPS im Jahre 1993, die sich bei Einsätzen
zur Krisenbewältigung auf dem Balkan bewährt haben. Die
Annäherung der Doktrinen führte insbesondere zu dem 1996
entwickelten "Gemeinsamen deutsch-französischen Sicherheits-
und Verteidigungskonzept", in dem die Übereinstimmung unserer
Auffassungen zum Ausdruck kommt.
Im neuen strategischen
Kontext nach Ende des Kalten Krieges, der durch neue Bedrohungen,
aber auch durch neue Chancen gekennzeichnet ist, unterstützten
Deutschland und Frankreich die Stärkung der Handlungsfähigkeit
der Europäischen Union durch die Entwicklung der Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Unsere beiden Länder
wünschen eine Fortentwicklung der ESVP zu einer Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU), damit die Europäische
Union auf der internationalen Bühne als vollwertiger Akteur
auftreten kann.
II
Von der Notwendigkeit
überzeugt, die gemeinsame Sicherheit der Mitgliedstaaten der
Union zu gewährleisten und die sie verbindende Solidarität
zum Ausdruck zu bringen, haben Deutschland und Frankreich gemeinsam
folgende Vorschläge für den Konvent über die Zukunft
Europas im Bereich der äußeren Sicherheit und der Verteidigung
vorgelegt:
Deutschland
und Frankreich schlagen vor, die ESVP zu einer Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU) fortzuentwickeln, die
auch zur Stärkung des europäischen Pfeilers des Bündnisses
beitragen soll.
Gemeinsam wollen
sie darauf hinwirken, dass die Union zur wirksamen Krisenprävention
und Krisenbewältigung die ganze Palette der ihr zur Verfügung
stehenden Mittel einzusetzen im Stande ist, damit die Sicherheit
ihres Gebiets und ihrer Bevölkerungen gewährleistet und
ein Beitrag zur Stabilität ihres strategischen Umfelds geleistet
werden kann.
Um dieses Ziel
zu erreichen, möchten Deutschland und Frankreich folgende Punkte
voranbringen:
- eine umfassende
Vorstellung von der Sicherheit der Europäischen Union. Deutschland
und Frankreich schlagen vor, in die neue Fassung des Vertrags
(Werte) einen Passus über "die Solidarität und die gemeinsame
Sicherheit" aufzunehmen und dem Vertrag eine politische Erklärung
gleichen Titels als Anlage beizufügen, in der die Risiken
aller Art, darunter vor allem der Terrorismus, sowie die Mittel,
mit denen ihnen begegnet werden kann, identifiziert werden.
- eine größere
Flexibilität innerhalb der Union durch eine Ausweitung des
Instruments der verstärkten Zusammenarbeit und dessen Anpassung
an die ESVP, die den übrigen Mitgliedstaaten bzw. der gesamten
Union offen stünde.
- die Stärkung
der militärischen Fähigkeiten, was eine bessere Ressourcenallokation,
eine vermehrte Anstrengung bei der Ausstattung unserer Streitkräfte
sowie die Entwicklung neuer Kooperationsformen, insbesondere Harmonisierung
der Bedarfsplanung, Bündelung von Ressourcen und Fähigkeiten
und auf längere Sicht die Aufgabenverteilung, erforderlich
macht.
- eine stärkere
Abstimmung der Zusammenarbeit im Rüstungsbereich und Stärkung
der industriellen und technologischen Verteidigungsbasis, was
die Definition einer europäischen Rüstungspolitik einschließlich
der Gründung einer Europäischen Rüstungsagentur
erforderlich macht. Eine solche Agentur könnte ausgehend
von der OCCAR errichtet werden, die schrittweise erweitert werden
könnte.
Angesichts
der Risiken aller Art, insbesondere des Terrorismus, verpflichten
sich Deutschland und Frankreich bereits jetzt, nach Maßgabe
ihrer Rechtsordnungen ihre sämtlichen verfügbaren Mittel
einzusetzen, um einander Beistand und Hilfe zu leisten. Sie fordern
ihre Partner der Europäischen Union auf, sich ihnen anzuschließen.
Deutschland
und Frankreich unterstützen aktiv das Engagement der Europäischen
Union vor Ort, im Dienste des Friedens: Die Union ist bereits seit
dem 1. Januar in Bosnien und Herzegowina im Einsatz, wo unsere beiden
Länder die größten Kontingente zur Polizeimission
der Europäischen Union (EUPM) stellen; die erste Militärmission
der Union könnte bereits im März in der ehemaligen jugoslawischen
Republik Mazedonien, wo unsere beiden Länder engagiert bleiben,
beginnen.
Deutschland
und Frankreich unterstützen ferner in vollem Umfang das Projekt
der Europäischen Union, die NATO in Bosnien und Herzegowina
militärisch abzulösen, was Anfang 2004 geschehen könnte.
Deutschland
und Frankreich sind beide der Auffassung, dass eine ausgewogene,
parallele Entwicklung der militärischen und zivilen Fähigkeiten
die besondere Qualität der ESVP ausmacht. Sie sind entschlossen,
sich weiterhin für eine Stärkung dieser zivilen Krisenmanagement-Fähigkeiten
der Europäischen Union und die Einrichtung von Planungs- und
Einsatzunterstützungsfähigkeiten im Ratssekretariat einzusetzen.
III
Im Hinblick
auf die Gründung einer ESVU sind Deutschland und Frankreich
entschlossen, Folgendes weiterzuentwickeln:
1.) die Fähigkeit
zur schnellen Krisenreaktion der Europäischen Union
Deutschland
und Frankreich werden bis zum nächsten Gipfel untersuchen,
wie die Führungsfähigkeiten der Europäischen Union
ausgehend von den bestehenden Fähigkeiten und auch unter Berücksichtigung
der "Berlin Plus"-Regelungen gestärkt werden können. Darüber
hinaus werden Deutschland und Frankreich die Einrichtung eines gemeinsamen
operativen Kommandos zur Führung von streitkräftegemeinsamen
Operationen prüfen, um die Ressourcen und Fähigkeiten
wirksam zu nutzen.
Deutschland
und Frankreich möchten die deutsch-französische Brigade
als sehr rasch verfügbares Element im Rahmen der schnellen
Reaktionsfähigkeit der Europäischen Union einsetzen können.
Zu diesem Zweck sind unsere beiden Länder entschlossen,
- die Unterstellung
der Brigade unter das EUROKORPS nach Modalitäten, die im
Einvernehmen mit unseren Partnern festzulegen sind,
- die Integration
und die Verfügbarkeit der Einheiten der Brigade,
- die "Initial-Entry-Fähigkeit"
der Brigade im Rahmen der schnellen Krisenreaktion sowie
- die Vereinheitlichung
der operativen und statutarischen Vorschriften für den Einsatz
der Brigade
weiter zu stärken.
Darüber
hinaus verweisen unsere beiden Länder auf die gute Zusammenarbeit
zwischen ihren Seestreitkräften; sichtbares Zeichen dafür
ist der 1992 gegründete deutsch-französische Marineverband.
Deutschland
und Frankreich verfolgen weiterhin das Ziel einer raschen Umwandlung
der Koordinierungszelle in ein europäisches Lufttransportkommando.
Sie beabsichtigen, die Strukturen und Fähigkeiten der europäischen
Lufttransportkoordinierungszelle weiterzuentwickeln und im Rahmen
ihrer Einsätze zur Krisenbewältigung zu nutzen.
2.) die gemeinsame
Nutzung ihrer Mittel
Das Programm
A400M hat herausragende Bedeutung, ist sichtbares Zeichen des Willens
zur europäischen Zusammenarbeit und ein wichtiger Schritt zur
Stärkung der ESVP. Im Bereich der Ausbildung, der Übungen,
des Einsatzes und der Logistik wollen Deutschland und Frankreich
eine Vorreiterrolle einnehmen.
Deutschland
und Frankreich verfolgen in diesem Zusammenhang auch die Absicht,
langfristig eine gemeinsame Lufttransportstaffel aufzustellen.
Deutschland
und Frankreich werden ihre Mittel zur Unterstützung der Streitkräfte,
die zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung eingesetzt
werden, gemeinsam nutzen. Hierbei handelt es sich insbesondere um
den ABC- und Strahlenschutz, die Sanitätsdienste und die Führungsunterstützungskräfte
und -mittel sowie die strategischen und taktischen luftgestützten
Aufklärungssysteme.
3.) eine gemeinsame
Analyse der Bedrohung
Deutschland
und Frankreich bekräftigen, dass die Europäische Union
die Risiken, denen ihre Mitgliedstaaten ausgesetzt sind, einer gemeinsamen
Analyse unterziehen muss. Zu diesem Zweck arbeiten unsere beiden
Länder an einer Analyse der Bedrohung, die die Verbreitung
von Massenvernichtungswaffen und ihrer Vektoren darstellt. Dieses
Dokument wird unseren Partnern der Europäischen Union im Rahmen
des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) vorgeschlagen.
Gleichzeitig
kommen Deutschland und Frankreich überein, die Möglichkeiten
auszuloten, ihre Bemühungen bei der Ausarbeitung der Projekte
im Rahmen der Globalen Partnerschaft der G8 gegen die Verbreitung
von Massenvernichtungsmitteln zu koordinieren.
Unsere beiden
Länder unterstützen den Vorschlag, am Rande der Generalversammlung
der Vereinten Nationen ein Treffen der Staats- und Regierungschefs
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen abzuhalten, um im Lichte
der jüngsten Krisen der Politik der Nichtverbreitung einen
neuen Anstoß zu geben.
4.) die Prävention
und die Bekämpfung des Terrorismus
Der internationale
Terrorismus ist eine Bedrohung unserer Sicherheit, der es im Sinne
einer umfassenden und präventiven Sicherheit durch die Mobilisierung
aller geeigneten Mittel zu begegnen gilt. Deutschland und Frankreich
prüfen gemeinsam, welchen Beitrag die ESVP zur Prävention
und zur Bekämpfung des Terrorismus leisten kann. Sie werden
ihren EU-Partnern hierzu gemeinsame Vorschläge unterbreiten.
Deutschland
und Frankreich verpflichten sich, die Folgearbeit des Ministertreffens
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 20. Januar zur Bekämpfung
des Terrorismus sicherzustellen. Beide Länder sind insbesondere
entschlossen, im Rahmen der Bekämpfung der Finanzierung des
Terrorismus weiterhin eng zusammenzuarbeiten.
5.) eine gemeinsame
Rüstungskooperationspolitik
Deutschland
und Frankreich wollen auf der Grundlage des EU-Verhaltenskodex und
der Regelungen des "Letter of Intent" für Drittlandsexporte
eine gemeinsame Exportpolitik und gemeinsame Regelungen fördern,
die auf dem freien Austausch zwischen unseren beiden Ländern
gründen. Eine entsprechende Politik und neue Regelungen werden
den Austausch bei kooperativen Rüstungsprogrammen erleichtern.
6.) die gemeinsame
Ausbildung ihres Personals
Sie schlagen
ihren Partnern der Europäischen Union die Gründung eines
"Europäischen Kollegs für Sicherheit und Verteidigung"
vor, das die Herausbildung einer gemeinsamen Kultur der zivilen
und militärischen Führungskräfte der Mitgliedstaaten
der Europäischen Union in diesem Bereich fördern soll.
Deutschland
und Frankreich unterstreichen die Qualität der Zusammenarbeit
zwischen ihren Kräften im Bereich "Combat Search and Rescue"
(CSAR). Sie fordern ihre Partner in der Europäischen Union
auf, sich ihrer gemeinsamen Initiative zur Gründung eines Zentrums
der Europäischen Union in diesem Bereich anzuschließen.
Deutschland
und Frankreich sind entschlossen, die gemeinsame Offiziersausbildung
weiterzuentwickeln, um die Ausarbeitung gemeinsamer Konzepte zu
fördern.
Deutschland
und Frankreich beschließen, den Austausch von voll integrierten
Bediensteten zwischen ihren Außen- und ihren Verteidigungsministerien
zu intensivieren. Sie werden sich weiterhin immer enger über
Fragen der Sicherheit und der Verteidigung in der Europäischen
Union abstimmen.
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