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• Die transatlantische Sicherheit
In dem vorliegenden Artikel, der kurz nach seinem Amtsantritt verfasst worden ist, behandelt der amerikanische Verteidigungsminister die großen strategischen und militärischen Fragen, auf die Amerikaner wie Europäer in den kommenden Jahren eine Antwort finden müssen. Dabei geht es um die Raketenabwehr, den Konfliktherd Balkan, die europäische Verteidigungsidentität, aber auch um die Perspektiven einer NATO-Erweiterung. Rumsfeld sieht in der Raketenabwehr eine Fortsetzung der Abschreckungslogik, die allerdings den neuen Bedrohungsformen angepasst sein müsse. Gleichzeitig bekräftigt er, dass die Vereinigten Staaten keine einseitige Haltung annehmen werden und dass sie versuchen würden, das Einvernehmen der europäischen Partner zu erzielen. ©2001
Donald RUMSFELD - Verteidigungsminister der Vereinigten
Staaten


Vor 25 Jahren, als ich erstmalig das Amt des Verteidigungsministers bekleidete und Henry Kissinger das Außenministerium leitete, wurden innerhalb des Bündnisses einige schwierige gemeinsame Entscheidungen über die Zukunft Europas getroffen. Gemeinsam teilten wir die Risiken und trugen die Verantwortung. Als Ergebnis dessen verfügen wir nunmehr über eine bekräftigte und über unsere kühnsten Träume hinausgehende kollektive Sicherheitsstruktur.

Unsere Absprachen und unsere Zusammenarbeit stehen dabei im Zentrum dieser neuen Welt. Sie bilden die Grundlage, von der aus wir den Herausforderungen, denen wir gegenwärtig und in Zukunft gegenüberstehen, begegnen werden. Allerdings kann Sicherheit nicht erreicht werden, indem ein Teil der Welt von einem anderen isoliert, indem Europa von Asien getrennt wird.

Trotz veränderter Ausgangslage bleibt das Mandat dasselbe: Es geht darum, Frieden und Sicherheit zu erhalten sowie Freiheit und demokratische Ideale zu fördern. Auch heute sind wir wieder mit einer Reihe von Entscheidungen konfrontiert, und unsere Aufgabe besteht darin, diese Entscheidungen gemeinsam zu treffen, Risiken und Verantwortung zu teilen sowie gemeinsam Nutzen daraus zu ziehen. Meines Erachtens lässt sich die Garantie für unsere zukünftige Sicherheit in vier, uns vertrauten Konzepten zusammenfassen, die hier allerdings gewissermaßen unter einem neuen Blickwinkel in diesem anbrechenden Jahrhundert erscheinen: Abschreckung, Verteidigung, Diplomatie und Aufklärung.

Wir müssen die Abschreckung gegen eine ganze Reihe von möglichen Bedrohungen aufrechterhalten, die weit gefährlicher sind als die Bedrohungen in der Zeit des Kalten Krieges. Diese Haltung muss auf Verteidigungskapazitäten aufbauen, die die Abschreckung glaubwürdig machen. Unsere Abschreckungs- und Verteidigungsbemühungen bilden den Unterbau unserer diplomatischen Anstrengungen. Darüber hinaus müssen wir über die notwendigen Aufklärungsmittel verfügen, die den politischen Entscheidungsträgern, Diplomaten und unserer Führung ein und dieselbe Lageanalyse ermöglichen, so dass sie ihrer Aufgabe auf der Grundlage derselben Sachverhalte nachkommen können.

Ich möchte im folgenden vor allem zu den vier Themenbereichen Raketenabwehr, Balkan, Europäische Verteidigungsidentität und die bevorstehende NATO-Erweiterung Stellung beziehen.

Zur Zeit ist die Bedrohung durch einen massiven Nuklearkrieg unwahrscheinlicher denn je seit dem Anbruch des Atomzeitalters. Allerdings sind wir heute anfälliger für Bombenanschläge, Cyberterroristen, die rohe und ziellose Gewalt eines geächteten Regimes bzw. eines mit Raketen und Massenvernichtungswaffen ausgerüsteten Banditenstaates. Mit dem Ende des Kalten Krieges ist die Welt näher zusammengerückt. Infolgedessen haben sich ehemals nur wenigen Staaten vorbehaltene Technologien weit verbreitet und sind nun allgegenwärtig. Nicht nur Nationen stehen sie nunmehr zur Verfügung, sondern auch nicht staatlichen Einheiten.

Damit komme ich zu dem ersten Punkt, der Raketenabwehr. Ich glaube, dass wir zugeben müssen, dass die Abschreckung durch die wechselseitig garantierte Vernichtung und das Konzept des Vergeltungsschlages während des Kalten Krieges recht gut funktionierte. Heute jedoch sind die Probleme anders gelagert und die Anforderungen unterschiedlicher Art. Es ist unsere Pflicht, diesen sich verändernden Umständen Rechnung zu tragen, um sicher zu gehen, dass wir vor allem dazu in der Lage sind, unüberlegt und rücksichtslos handelnde Aggressoren von Anschlägen bzw. deren Androhung abzuhalten. Terrorwaffen müssen nicht zum Einsatz kommen, es reicht schon, wenn sie in den Händen von Menschen liegen, die damit diejenigen in ihre Schranken weisen, die sie vielleicht einsetzen würden. Das kann bekanntlich das Verhalten beeinflussen. Wir haben aus der Geschichte gelernt, dass Schwäche herausfordernd wirkt und dass sich Völker deswegen in Abenteuer stürzen, die sie andernfalls vermieden hätten.

Kein verantwortungsbewusster Präsident der Vereinigten Staaten kann sagen, seine Verteidigungspolitik sei dazu gedacht und konzipiert, das amerikanische Volk schutzlos Bedrohungen auszusetzen, deren Existenz bekannt und die nur allzu real sind. Damit keine Zweifel aufkommen: Ein Verteidigungssystem muss nicht lückenlos sein. Gleichwohl darf das amerikanische Volk nicht ohne jeden Schutz gelassen werden. Das ist weniger ein Problem der Machbarkeit als eine Frage der Verantwortlichkeit des Präsidenten gegenüber der Verfassung. Es handelt sich in der Tat in vielerlei Hinsicht, wie Dr. Kissinger gesagt hat, um ein moralisches Problem. Deswegen beabsichtigen die Vereinigten Staaten, eine einsatzbereite Raketenabwehr zu entwickeln, mit dem Ziel, unser Volk und unsere Streitkräfte gegen einen begrenzten ballistischen Raketenangriff zu schützen, und sie sind dazu bereit, ihren Freunden und Alliierten im Fall einer Bedrohung durch einen Raketenangriff mit dem Einsatz eines solchen Verteidigungssystems beizustehen. Dieses Abwehrsystem wird faktisch für niemanden eine Bedrohung darstellen. Niemand sollte sich darüber unnötige Gedanken machen, außer denjenigen, die anderen drohen wollen.

Ich möchte auch unseren Freunden in Europa gegenüber deutlich machen, dass wir sie konsultieren werden. Es liegt nicht im Interesse der Vereinigten Staaten, ein Verteidigungssystem einzurichten, dass uns mit unseren Freunden und Verbündeten entzweien würde. Tatsächlich sind wir denselben Bedrohungen ausgesetzt. Es ist das ureigenste Interesse der Vereinigten Staaten, dass unsere Freunde und Alliierten sowie unsere stationierten Truppenverbände vor Angriffen geschützt werden und weder bedroh- noch erpressbar sind. Das ist kein Thema, das uns spalten würde. Wir sehen darin vielmehr eine Möglichkeit zu einem kollektiven Ansatz zur Verbesserung der Sicherheit für uns alle.

Ein anderes Gebiet, auf dem wir umdenken müssen, betrifft die Fähigkeit des Bündnisses, mit Regionalkonflikten fertig zu werden. Wir haben die Herausforderung auf dem Balkan abschätzen können. Der Balkankonflikt hat gezeigt, dass die Allianz ihre Kapazitäten erhöhen und umstrukturieren muss, wofür mehr Ressourcen notwendig sind. Darüber hinaus hat er auch gezeigt, dass wir am erfolgreichsten sind, wenn wir gemeinsam handeln.

Die Pläne von Präsident Bush, unseren Balkaneinsatz zu überdenken, in der Hoffnung, die angemessenste Einsatzform und das angemessenste Engagementniveau aufrechtzuerhalten, sind sicherlich allseits bekannt. Wie bereits betont, werden wir nicht einseitig bzw. über die Köpfe unserer Bündnispartner hinweg handeln.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir mit dem Einsatzbeginn in Bosnien-Herzegowina Zehntausende von schwer bewaffnete Truppenverbänden stationiert haben. Auch heute befinden sich dort noch einsatzfähige Truppen, die Aufgabe hat sich allerdings geändert, und die Truppenstärke wurde infolgedessen verkleinert und mit einer leichteren Ausrüstung versehen. Wir haben diese stufenweisen Änderungen auf der Grundlage des vorgesehenen Bündnisvorgehens vorgenommen, das mit dem Jahr 1996 einsetzte und mittels halbjährlichen oder alle acht Monate stattfindenden Routineüberprüfungen fortgeführt wurde. Wir sind der Ansicht, dass dieser Konsultations-, Prüfungs- und Veränderungsprozess fortgesetzt werden sollte.

Um es noch einmal zu sagen: Der Wille der Nationen, gemeinsam zu handeln, bildet einen Beitrag dazu, die Sicherheit zu bewahren und den Frieden zu stärken. Als dritten Punkt komme ich nunmehr zu der von einigen unserer Bündnispartner angeregten Initiative zu sprechen, die europäischen Verteidigungskapazitäten auszubauen.

Als ehemaliger NATO-Botschafter habe ich den allergrößten Respekt vor der Bedeutung der Allianz. Sie bildete das Schlüsselinstrument, um mehr als 50 Jahre lang den Frieden in Europa zu bewahren. Ich denke, es lässt sich vereinfachend durchaus behaupten, dass sie das erfolgreichste Militärbündnis in der Geschichte darstellt. Die NATO hat sich weiterentwickelt und eine Partnerschaft für den Frieden begründet, in deren Rahmen ganz Europa an der gemeinsamen Verbesserung der Sicherheit beteiligt wurde, wie es von den Truppenverbänden der Partnerländer in Bosnien und im Kosovo gegenwärtig gezeigt wird.

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität stellt eine zusätzliche Weiterentwicklung dar. Ich möchte nicht in allen Einzelheiten darauf zu sprechen kommen, werde aber meine Eindrücke kurz darlegen.

Unsere europäischen Verbündeten und Partner wissen, dass die NATO das Herzstück der europäischen Verteidigung bildet. Wenn wir die vergangenen Erfolge in die Zukunft verlängern wollen, müssen wir deswegen auch in erster Linie die NATO als Grundstein der europäischen Sicherheitsstrukturen für Europa aufrechterhalten.

Ich befürworte die Bemühungen zugunsten einer Stärkung der NATO. Was innerhalb und mit dem Bündnis geschieht, muss mit der Wahrung ihrer Stärke, Widerstands- und Leistungsfähigkeit in Einklang gebracht werden. Initiativen, die die Leistungsfähigkeit der NATO durch eine verwirrende Verdoppelung bzw. durch die Beeinträchtigung der transatlantischen Beziehungen schmälern könnten, würden sich nicht positiv bemerkbar machen. Vielmehr bestünde die Gefahr, dass es innerhalb der so ausgesprochen wichtigen Allianz zu Instabilität käme. Und wenn ich noch einen Punkt hinzufügen darf: Welche Form diese Bemühungen letztlich auch annehmen werden, ich persönlich bin der Ansicht, dass sie allen NATO-Mitgliedstaaten, die sich daran beteiligen möchten, offen stehen sollte.

Die Frage der europäischen Integration leitet zu der Möglichkeit über, wie die NATO überhaupt erweitert werden kann. Wir haben beachtliche Fortschritte erzielt auf dem Weg zu der Erfüllung der Vision eines geeinten und freien Europas.

Natürlich muss auch bei einer erweiterten NATO-Mitgliedschaft unsere Einsatzfähigkeit bewahrt, eventuell sogar verbessert werden. Hinzukommende Mitglieder sollten die Werte der Bündnisnationen teilen und dazu bereit sein, die Last der notwendigen Sicherheitsausgaben zu tragen, um bei der Verfolgung unserer Ziele vollwertig mitzuwirken.

Die Allianz hat erklärt, dass sie auf dem nächsten Gipfeltreffen im Jahre 2002 über die Erweiterung diskutieren werde und damit den Staaten die Gelegenheit bietet, ihre Beitrittsargumente vorzubringen. Die Mitgliedschaft in der NATO ist meines Erachtens mehr als nur ein Entwicklungsschritt der europäischen Demokratien. Die Mitgliedstaaten gehen eine Verpflichtung zu gemeinsamer Verteidigung ein, und sie müssen imstande sein, dieser Verpflichtung nachzukommen.

Ich habe mich auf vier Themenbereiche konzentriert, die unsere Fähigkeit unter Beweis stellen, die Zukunft der Freiheit, deren Bewahrung uns am Herzen liegt, in Augenschein zu nehmen. Trotz ihrer vermeintlichen Unterschiede gehören diese Fragestellungen allesamt bei genauerer Betrachtung zu demselben Kern, denselben Grundlagen der Freiheit und der Sicherheit dieser Allianz, die wir verstärken und aufrechterhalten wollen.

Die NATO zu schwächen bedeutet Europa zu schwächen, was wiederum uns alle schwächen würde. Wir und die anderen Bündnisstaaten sind miteinander verbunden in dem Bestreben nach und der Bewahrung von etwas Großem und Gutem, etwas, das in der Geschichte seinesgleichen sucht. Unser größter Trumpf sind immer noch unsere Werte Freiheit, Demokratie, die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaat. Angesichts gemeinsamer Gefahren müssen wir immer noch gemeinsam Verantwortung übernehmen. Solange wir uns diesen Herausforderungen stellen, bin ich zuversichtlich, dass wir unsere große Partnerschaft stärken und dass wir nicht daran scheitern werden.

Übersetzung Forum (MT)



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