Das Unbehagen
europäischer Medien und Politiker gegenüber der amerikanischen
Wahl, begründet mit dem Wunsch nach Kontinuität, stellt
im Grunde ein bemerkenswertes Paradox dar: Warum Kontinuität,
wenn die transatlantischen Beziehungen in der Vergangenheit alles
andere als harmonisch waren?
Unsere Verbündeten,
Großbritannien größtenteils ausgenommen, haben
sich oft demonstrativ von Sanktionen gegen Kuba, den Iran oder den
Irak, und von der amerikanischen Politik gegenüber der Nahostkrise
und Taiwan distanziert. Sie haben öffentlich ihren Widerspruch
zu den Plänen einer nationalen Raketenabwehr erklärt,
u.a. - und ausdrücklich im Namen von ganz Europa - bei einer
gemeinsamen Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten
Jacques Chirac und des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die Europäische Union ist dabei, eine Militärstreitmacht
aufzustellen, die institutionell von der NATO unabhängig ist.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist eine gemeinsame Politik gegenüber
der Sowjetunion individuellen Bemühungen der NATO-Partner um
eigene besondere Beziehungen" zu Moskau gewichen.
Die Differenzen
im Bereich der Wirtschaftspolitik sind sogar noch augenscheinlicher.
Die USA haben Vergeltungsmaßnahmen gegen Europa in der Bananen-
und Rindfleischfrage angedroht, und die Europäische Union droht
den USA mit einer Besteuerung amerikanischer Exporte. Die beiden
Seiten sind an einem toten Punkt angelangt, wo nicht mehr klar ist,
wie oder ob überhaupt, neue multilaterale Handelsabkommen lanciert
werden können. Ein weiterer Streit in der Frage der Energiepolitik
droht, insbesondere, wenn die Ölpreise hoch bleiben.
Ebenso bemerkenswert
ist die wachsende Entfremdung zwischen den Kontinenten. Mehr Amerikaner
und Europäer als jemals zuvor bereisen den jeweils anderen
Kontinent, doch reisen sie in einem Kokon vorgefasster Meinungen
oder beruflicher Beziehungen, ohne sich Wissen über die Geschichte
oder die Politik der anderen Seite anzueignen. Andererseits werden
die USA in den Massenmedien gleichgesetzt mit Todesstrafe, dem Fehlen
einer gesetzlichen Krankenversicherung, einer ungeheuren Zahl von
Gefängnisinsassen und anderen vergleichbaren Stereotypen. In
solch einer Atmosphäre drängen viele Befürworter
einer europäischen Integration auf eine Einheit, mit der man
sich von den USA abgrenzen, sich ihnen vielleicht sogar entgegenstellen
könnte.
Die Clinton
Regierung hat unbeantwortete Fragen hinterlassen: Ist die Atlantische
Allianz noch das Zentrum der transatlantischen Beziehungen? Wenn
ja, wie lässt sich ihre Aufgabe in einer Welt nach dem Ende
des Kalten Krieges definieren? Wenn nicht, was kann an ihre Stelle
gesetzt werden, um die transatlantischen Beziehungen zu stützen?
Paradox daran
ist, dass die persönlichen Beziehungen zwischen den Regierungschefs
zu beiden Seiten des Atlantik während der neunziger Jahre erstaunlich
freundschaftlich geblieben sind. Dies war jedoch weniger auf übereinstimmende
politische Sichtweisen zurückzuführen als auf gemeinsame
persönliche Erfahrungen, da sie die erste Generation von Regierungschefs
bildeten, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist. Die Gründerväter
der Allianz gingen von dem Wohlwollen der amerikanischen Macht und
der Bedeutung einer verbündeten Einheit aus. Ihre Söhne
und Töchter, die während der Protestbewegungen der sechziger
und siebziger Jahre groß geworden sind, entwickelten indes
ein tiefes Misstrauen gegenüber der amerikanischen Macht. Bestenfalls
wollten sie, dass Amerika seine Macht nur für universale, über
nationales Interesse hinausgehende Zwecke einsetzt.
Die Gründerväter
sahen die Allianz als den Beginn für eine Union von Demokratien.
Die Generation der Regierungschefs der 90er Jahre sah die NATO als
ein Relikt des Kalten Krieges, wenn nicht als ein Hindernis, ihn
zu überwinden. Ihre Ziele bestanden weniger darin, die Allianz
zu stärken als die Trennungslinien aufzuheben".
So hat Präsident Clinton in einer Pressekonferenz mit dem russischen
Präsidenten Boris Jeltzin im März 1997 die alte
NATO" beschrieben als im Grunde ein Spiegelbild des Warschauer
Paktes", und hat damit ein freiwilliges Bündnis von Demokratien
gleichgesetzt mit einem Bündnis, das die Sowjetunion den unterworfenen
Ländern aufgezwungen hatte.
Der Schlüssel
zu diesem Paradox ist, dass im gesamten Westen Außenpolitik
mehr denn je eine Funktion der Innenpolitik geworden ist. Da die
Mitte-Links-Regierungen Europas durch die Einführung marktorientierter
Wirtschaftsreformen ihre radikalen Flügel enttäuscht haben,
wollen sie diese durch eine nationale Sicherheitspolitik, die mit
der USA identifiziert werden könnte, nicht noch weiter gegen
sich aufbringen. Andererseits kam die innenpolitische Opposition
gegen Clintons Außenpolitik hauptsächlich von rechts.
Wegen dieser innenpolitischen Differenzen sahen die Regierungschefs
Europas keinen Widerspruch zwischen ihrer persönlichen Bewunderung
und Sympathie - für Clinton und einer lautstarken Opposition
gegenüber einer Politik, der er sich, wie sie dachten, nicht
wirklich entziehen konnte.
So kam es,
dass die harmonischsten Begegnungen zwischen den europäischen
Regierungschefs und Präsident Clinton auf sogenannten Dritte-Weg-Treffen"
internationaler überwiegend europäischer
sozialdemokratischer Regierungschefs stattfanden. Es handelte sich
dabei um Zusammenkünfte, auf denen Politiker von Mitte-Links-Regierungen
sich programmatisch auseinandersetzen, nachdem sie sich in der Reagan-Thatcher-Revolution
den Marktgesetzen fügen mussten. Aus diesem Grunde ist der
sozialdemokratische Staatschef Portugals zu diesen Treffen eingeladen
worden, der konservative Regierungschef Spaniens jedoch nicht; aus
diesem Grunde nahm auch der sozialistische Premierminister Frankreichs
teil, während der konservative französische Präsident
ausgeschlossen war. Indem Clinton an diesen Treffen regelmäßig
teilnahm, unterstützte er durch das Prestige der amerikanischen
Präsidentschaft einseitig die Sache der Innenpolitik der dort
repräsentierten Länder.
Die Machtübernahme
durch eine republikanischen Regierung ändert unweigerlich Amerikas
Blickwinkel bei den Gesprächen mit Europas Regierungschefs.
Künftige Gespräche werden nun weniger auf Persönlichkeiten
ausgerichtet sein denn auf die Schaffung eines tragfähigen
transatlantischen Dialoges, der auf gemeinsamen, beständigen,
nationalen und nicht Partei- - Interessen beruht. Die bisherige
Bilanz des neuen nationalen Sicherheitsteams in Washington macht
es sehr wahrscheinlich, dass der Aufgabe, die Allianz wiederzubeleben,
höchste Priorität gegeben wird.
Die größte
Herausforderung wird die Frage sein, ob die westlichen Demokratien
ihr Gefühl einer Schicksalsgemeinschaft wiederfinden. Der Kalte
Krieg mag zu Ende sein, doch Geschichte und Geographie sind deshalb
noch lange nicht verschwunden. Ob die atlantische Allianz den neuen
Anforderungen gewachsen ist, wird sich in der Art und Weise zeigen,
wie sie mit Themen der traditionellen Sicherheit umgeht und wie
erfolgreich sie Stabilität in Osteuropa, entlang der europäischen
Südgrenzen und im Mittleren Osten fördern kann.
Die Sicherheitsfrage
stellt sich dar als eine Versicherung gegenüber einem neuerlichen
russischen Imperialismus sowie in Form einer Raketenabwehr und einer
neuen europäischen Streitmacht (Euroforce).
Ein neuer transatlantischer
Dialog in der Frage der Raketenabwehr ist dringend erforderlich.
Kritiker in Europa müssen sich fragen lassen, ob man von einem
amerikanischen Präsidenten ernsthaft erwarten kann, dass er
sein Volk den Drohungen einer wachsenden Nukleartechnologie ungeschützt
ausliefert. Amerikanische Politiker müssen einen Weg finden,
die Relevanz ihres Anliegens und ihrer Strategie für europäische
Interessen aufzuzeigen. Beide Seiten haben die Verpflichtung, ein
Konzept der Abschreckung zu überdenken, das im Falle eines
Scheiterns binnen weniger Stunden Millionen und Abermillionen Tote
fordern könnte.
Was die europäische
Armee betrifft, so ist die Schlüsselfrage nicht, ob Europa
eine autonome Stimme haben soll oder nicht, sondern ob die europäische
Streitmacht nicht eine Zersplitterung der Ressourcen bedeutet und
was Europa überhaupt mit Autonomie meint. Wie können überdies
die strategischen Ziele von Euroforce mit den in fast allen europäischen
Ländern abnehmenden Verteidigungsbudgets vereinbart werden?
Und was bedeutet in der Praxis eine Autonomie, nach der - im EU-Sprachgebrauch
- Euroforce nur dort eingreift, wo die NATO als Ganzes nicht
betroffen ist"?
Eine abgesprochene
Arbeitsteilung ist vorstellbar, wobei jedoch dafür Sorge getragen
werden muss, dass nicht der Eindruck einer allzu weitgehenden Loslösung
von Amerika entsteht, was andere Länder nämlich nur dazu
einladen würde, Druck auszuüben. Aber was passiert, wenn
die EU ohne Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten handelt,
das heißt, wenn de facto alle Mitgliedsstaaten der Allianz
außer Amerika und Kanada Krieg führten? Würde Euroforce
in solch einem Fall auf die NATO-Logistik und die Aufklärungskapazitäten
zurückgreifen können, die doch hauptsächlich Amerika
gehören?
Außerdem
lässt sich die Frage stellen, ob die Amerikaner bei NATO-Zusammenkünften
auf Amtskollegen treffen werden, die schon eine kollektive EU-Entscheidung
beschlossen haben und damit der NATO Operationen aufzwingen, die
im Gegensatz zu ihrer Geschichte stehen. Europäische Regierungschefs,
die eine Raketenabwehr in Frage stellen, weil sie zur Abkoppelung
amerikanischer Sicherheitsinteressen von Europa führen könnte,
sollten vorsichtig vorgehen, damit keine Institutionen entstehen,
die dann unweigerlich zu einer politischen Abkoppelung führen
werden.
Der entscheidende
Prüfstein wird sein, inwieweit es gelingt, politische Übereinstimmung
innerhalb der transatlantischen Beziehungen wiederherstellen zu
können. Gelingt dies nicht, könnte aus Euroforce die denkbar
schlechteste Situation erwachsen: die NATO-Prozesse könnte
dadurch behindert und die alliierte Zusammenarbeit beeinträchtigt
werden, ohne dass damit eine gesteigerte alliierte militärische
Schlagkraft oder signifikante europäische Autonomie einherginge.
Die transatlantische
Beziehung sieht sich bedeutenden geopolitischen und wirtschaftlichen
Herausforderungen gegenüber. Im Osten der NATO und der EU enden
die innenpolitischen Neuordnungsprozesse im Anschluss an den Zusammenbruch
der Sowjetunion, und sei es nur deswegen, weil die Generation, welche
die Macht erbte, nunmehr von der Bühne tritt. Chaos (oder russische
Herrschaft) droht, wenn die Nationen, die an den Nordatlantik grenzen,
dies nicht als ein gemeinsames Problem betrachten und mit einer
gemeinsamen Politik darauf reagieren. Es ist von besonderer Wichtigkeit,
die Einigkeit bei den Bemühungen zu verbessern, Russland in
die internationale Staatengemeinschaft zu integrieren. Obwohl jeder
NATO-Partner erklärt, es diene dem gemeinsamen Interesse, ist
ein Konsens darüber, was ein gemeinsamen Interesse darstellt,
bislang nicht zu erreichen gewesen.
Die Zukunft
im Mittelmeerraum und dem Mittleren Osten stellt eine ähnliche
Herausforderung dar. Der Druck von Globalisierung und Bevölkerungswachstum
könnte dort zu einer Periode des Übergangs und der Unruhe
führen, welche das postkommunistische Chaos im Balkan wie ein
Kinderspiel aussehen lässt. Die Förderung von Stabilität
im Persischen Golf bleibt für beide Seiten des Atlantiks unerlässlich,
um den Zugang zu bezahlbarer Energie zu sichern.
Die Gefahr
einer wirtschaftlichen Rezession macht deutlich, wie wichtig kooperative
Maßnahmen zwischen denjenigen Nationen sind, die weit über
die Hälfte der weltweiten Produktivkraft darstellen. Für
Europa stellt dies auch ein demographisches Problem dar. In fast
allen europäischen Ländern wird die Geburtenrate nicht
einmal ausreichen, die momentane Bevölkerungszahl aufrechtzuerhalten,
eine Bevölkerungszahl, die schon jetzt nicht ausreicht, um
die Nachfrage nach Arbeit zu decken. Der Anteil derjenigen, die
durch eine zurückgehende Erwerbsbevölkerung unterstützt
werden müssen, wird dramatisch ansteigen: Die Gesamtbevölkerung
der meisten europäischen Staaten wird jäh fallen und damit
den Druck zur Erleichterung der Einwanderung - mit all ihren politischen,
sozialen und kulturellen Folgen - nur noch verstärken.
All diese Aufgaben
könnten auf der Tagesordnung eines transatlantischen Dialogs
stehen. Durch ihr Vorgehen und größtenteils auch durch
ihre Zielsetzungen versucht die Europäische Union jedoch bisher,
die Vereinigten Staaten auf Distanz zu halten. Wann immer amerikanische
Diplomaten auf Sprecher des supranationalen Europas treffen, müssen
sie feststellen, dass ihre Gesprächspartner wenig Spielraum
haben, weil Entscheidungen des EU-Ministerrates (dem die Vereinigten
Staaten noch nicht einmal als Beobachter angehören) nur geändert
werden können, wenn sie den gesamten europäischen Verfahrensprozess
durchlaufen. In wirtschaftspolitischer Hinsicht trocknen die traditionellen
Kanäle amerikanisch-europäischer Zusammenarbeit langsam
aus. Und entsprechende Verfahren werden nun auch für Außen-
und Sicherheitspolitik vorgeschlagen. Es muss ein Gleichgewicht
gefunden werden zwischen den beiden folgenden Polen: Entweder handeln
die Vereinigten Staaten so, als ob sie ein Mitglied der EU-Institutionen
wären, oder sie werden ausgegrenzt, so dass sie noch nicht
einmal an Gesprächen teilnehmen können, die ihre ureigensten
Interessen berühren.
Kurz gesagt,
was die Allianz braucht, ist nicht so sehr Kontinuität als
ein Gespür für die einzuschlagende Richtung. Sind die
hier geschilderten Herausforderungen schlicht die Nebeneffekte einer
engeren europäischen Integration oder stellen sie eine bewusste
(oder unbewusste) Entscheidung Europas dar, eine gesonderte, konkurrierende
Zukunft zu schaffen? Von der Antwort auf diese Frage kann die Zukunft
von Freiheit und Frieden abhängen.
Übersetzung
Forum (MT)
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