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• Das amerikanische NMD und Europa
Es ist zu unterscheiden zwischen dem Aufbau einer zentralen strategischen Flugkörperabwehr ("National Missile Defense", NMD) für die Vereinigten Staaten, land- und seegestützt (auf Flugabwehr-Kreuzern des AEGIS-Systems), und einer regionalen Abwehr („Theatre Missile Defense", TMD) außerhalb Nordamerikas. Diese wäre bestimmt zur Abschirmung amerikanischer Streitkräfte und Stützpunkte in Übersee, einschließlich der Vorwärts-Stationierung solcher beweglichen TMD-Systeme zur Deckung von Lande- und Operationszonen auf Krisenschauplätzen. Beide Abwehrschirme würden einander ergänzen, um eine globale Schwerpunktverteidigung gegen Raketenangriffe geringen Ausmaßes zu errichten. © 2001
Prof. Lothar RÜHL - Professor an der Universität Köln


Achtzehn Jahre nach Ronald Reagans "strategischer Verteidigungsinitiati-ve" (SDI) von 1983, einer noch unausgereiften Vision, rückt mit der Bush-Regierung ein erster ernsthafter Versuch über den Horizont, Nordamerika eine räumlich begrenzte Flugkörperabwehr zu geben. Die ersten Versuche mit Abfangraketen gegen einschwebende Flugkörper während der Präsidentschaft Clintons blieben zwar noch ohne Erfolg für den Bau zuverlässiger Systeme. Doch der Erfolg ist absehbar. In Peking wie in Moskau rechnet man damit für die kommenden zehn Jahre. Ein früherer Durchbruch bei einer konzentrierten Anstrengung wird nicht ausgeschlossen. Außerdem ist zu erwarten, daß die Haushaltsmittel auf 40 Milliarden Dollar für ein Fünfjahresprogramm erhöht werden, nachdem zuvor Clinton die Ausgaben von vorgesehenen 36 Milliarden 1993 auf 18 Milliarden reduziert hatte.

In diesem Punkt ist zu unterscheiden zwischen dem Aufbau einer zentralen strategischen Flugkörperabwehr ("National Missile Defense", NMD) für die Vereinigten Staaten, land- und seegestützt (auf Flugabwehr-Kreuzern des AEGIS-Systems), und einer regionalen Abwehr („Theatre Missile Defense", TMD) außerhalb Nordamerikas. Diese wäre bestimmt zur Abschirmung amerikanischer Streitkräfte und Stützpunkte in Übersee, einschließlich der Vorwärts-Stationierung solcher beweglichen TMD-Systeme zur Deckung von Lande- und Operationszonen auf Krisenschauplätzen. Beide Abwehrschirme würden einander ergänzen, um eine globale Schwerpunktverteidigung gegen Raketenangriffe geringen Ausmaßes zu errichten. Diese Kombination soll nach den Berichten der "Hart-Rudman-Kommission", die vom Pentagon mit der Studie „Nationale Sicherheit/21. Jahrhundert" betraut wurde, die künftige "Nationale Sicherheitsstrategie" Amerikas tragen. Verteidigungsminister Rumsfeld, selbst ein langjähriger Anwalt der Raketenabwehr, der gegen die Beibehaltung des Moskauer ABM-Vertrags von 1972 ist, hat diese Schlussfolgerung im Prinzip akzeptiert.

Sowohl konventionelle Kriege in Übersee als auch Interventionen zur Krisenbeherrschung mit Expeditionskorps oder mit Spezialkräften für Polizeiaktionen sowie humanitäre Aktionen unter bewaffnetem Schutz sollen in der Raketenabwehr Rückhalt finden. Es handelt sich um eine strategische Rückversicherung gegen die Bedrohung mit Massenvernichtungsmitteln, die mit Raketen verschiedener Reichweiten und Zuladung (atomar, biologisch/ toxisch, chemisch) entweder gegen Amerika selber oder seine Truppen in Übersee sowie Verbündete möglich werden könnte.

Es wird damit deutlich, daß nicht eine stationäre Defensive, etwa auf den maritimen Vorfeldern einer Kontinentalfestung Nordamerika, sondern die Abschirmung einer offensiven Strategie zur Vereidigung und Förderung vitaler nationaler Interessen weltweit das Ziel der kombinierten Raketenabwehr sein soll: vor allem in Europa, im Mittleren Osten, in Fernost und in Südostasien, wo Amerikas wertvolle und exponierte Verbündete, dazu strategische Ressourcen wie Erdöl liegen und wo das Gros der amerikanischen Streitkräfte in Übersee stationiert ist. Diese Konzeption schließt Großbritannien, Grönland (diese beiden Länder besonders für die Frühwarn-Großradaranlagen), die Stützpunktländer mit Japan, Südkorea, Türkei und ganz Westeuropa ein.

Auch die Clinton-Regierung stand, wie der Bericht über die Nationale Sicherheitsstrategie vom Mai 1997 verdeutlicht, hinter dieser Konzeption amerikanischer Machtprojektion. Das, was die Hart-Rudman- Berichte "homeland security capabilities" (also etwa "Heimatschutzfähigkeit") nennt, ist das Rückgrat der amerikanischen Fähigkeit zur militärisch abgestützten Weltpolitik, mit dem Engagement von Streitkräften in Übersee. Dabei war auch von der Fähigkeit die Rede, größere Kriege mit konventionellen Mitteln zu gewinnen.

Deutlicher als früher kommt nun zum Ausdruck, daß künftig ein umfassendes strategisches Instrumentarium angelegt werden soll, in dem die Kernwaffen tatsächlich nur noch der "ultima ratio" Minimalabschreckung dienen würden. Konventionelle Streitkräfte und Spezialtruppen hätten alle Aufgaben flexibler operativer Strategie unter dem Raketenabwehrschirm zu erfüllen. Getragen wäre das von einer satellitär gestützten strategischen Dominanz mit elektronischen Systemen zur Aufklärung, Raumüberwachung, Störung gegnerischer, Sicherung eigener Fernmeldemittel und großräumiger Führung der eigenen Kräfte. In summa: Abschreckung durch rechtzeitige Vorwärts-Stationierung von Truppen oder Flotteneinheiten in gefährdeten Krisengebieten, Konfliktbeherrschung durch schnelles Eingreifen, Gegenproliferation zur Beseitigung von Massenvernichtungsmitteln, notfalls Niederwerfung und Entwaffnung von Angreifern gegen andere Länder unter amerikanischem Schutz.

Zu diesem Zweck braucht die amerikanische Globalstrategie Partner in allen Weltregionen, die bereit sind, mitzuwirken. Sie würden dafür auch gegen ABC-Drohungen abgeschirmt und könnten auf amerikanische Waffenhilfe rechnen, wenn sie bedroht werden. Schon die Clinton-Regierung hatte begonnen, um Kooperation beim Aufbau einer regionalen Flugkörperabwehr zu werben: In Europa haben sich Italien und Deutschland schon durch Abkommen mit Washington zur Weiterentwicklung der Flugabwehr in eine taktische Flugkörperabwehr bereit erklärt, dazu die Türkei und in Fernost Taiwan für den kooperativen Aufbau von Abwehrsystemen. Mit Israel besteht ein Abkommen, Ägypten ist es angeboten, mit Japan sind Verhandlungen über bestimmte technische Komponenten für Kriegsschiffe aufgenommen. Ohne eine nationale Raketenabwehr für die Vereinigten Staaten selbst (in die Kanada eingefügt würde) fehlte der notwendige Rückhalt.

Die europäischen Nato-Partner werden die Frage beantworten müssen, warum Amerika gegen Raketenbedrohung mit ABC-Massenvernichtungsmitteln ungeschützt bleiben sollte, während es anderen Ländern militärisch zu Hilfe kommt oder diese durch Truppen abschirmt. Der Moskauer ABM-Vertrag von 1972 steht den amerikanischen Plänen entgegen, kann aber "strategische Stabilität" gegen die Entwicklung von Raketen für Kernwaffen "substrategischer" Reichweiten nicht bewahren. Für die Lösung der Probleme mit derzeit 32 Staaten, die Raketen besitzen oder entwickeln können, ist er als bilateraler Vertrag ohnehin nicht geeignet.

Im europäischen Interesse läge es darum, gemeinsam mit Amerika auf Rußland einzuwirken, dem Aufbau einer kooperativen Raketenabwehr zur gemeinsamen Sicherheit zuzustimmen. In Moskau hat das Umdenken hinter der schroffen Verweigerungsfassade schon begonnen. Die Europäer werden die alten Schützengräben des politischen Krieges mit Washington über das SDI-Projekt von 1983 verlassen und die Frage der Rüstungskontrolle im Licht der neuen Realität betrachten müssen.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel in der FAZ vom 23.Januar 2001


Veröffentlichungen

- "Deutschland als europäische Macht" - Bouvier, 1996.
-
"Zeitenwende in Europa" - DVA, 1990.



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