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Unser gemeinsamer Traum von der Europäischen Union
Der Artikel, der uns kurz vor Amtsende des amerikanischen Präsidenten zugegangen ist, zeichnet das Bild, das man sich in Übersee von Europa macht. Wenn die Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten so eng sind, dann liege das, wie der Autor betont, natürlich u.a. daran, dass es geschichtliche Bindeglieder gibt. Vor allem habe es aber etwas damit zu tun, dass eine Wertgemeinschaft bestehe und dass unsere wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Anliegen gegenwärtig konvergieren.
Im Folgenden entwickelt der Autor das Bild eines Europas aus amerikanischer Sicht. Ein Raum des Friedens und wirtschaftlicher Austauschbeziehungen, zu dem auch Russland die Tore offen stehen und der sich zur Bildung einer stabilen Weltregion auch den baltischen Staaten und der Türkei nicht verschließt. Unter dieser Voraussetzung muss die EU-Erweiterung mit der NATO-Erweiterung Hand in Hand gehen. Das Entstehen eines Stabilitätspoles in dieser Weltregion soll die Entwicklung der grundlegenden Werte befördern, die dann weit über die Nachbarstaaten hinaus ausstrahlen würden. Die euroatlantische Partnerschaft soll als Modell gelten, weil sie nicht nur für uns, sondern auch für den Rest der Welt von grundlegender Bedeutung sei.
Präsident Clinton sei ausdrücklich für den Beitrag zu dem Sonderheft des Forum Franco-Allemand gedankt.
© 2001
William Jefferson CLINTON - Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika / 1993 - Januar 2001


Vor 12 Jahren fiel die Berliner Mauer, der Eiserne Vorhang öffnete sich, und endlich tat sich vor uns die Aussicht auf ein ungeteiltes und freies Europa auf. Wir alle werden uns an 1989 als das Datum erinnern, an dem die Mauer zu den lauten Klängen von Schillers "Ode an die Freude" fiel. Es war ein Augenblick großer Befreiung - wie 1789 oder 1848 - ein besonderer Triumph für das deutsche Volk, dessen Vereinigung große Unbilden überwand und den Weg für die umfassendere Vereinigung Europas ebnete.

Zu häufig vergessen wir, dass 1989 auch eine Zeit großer Unsicherheit bezüglich der Zukunft war. Es gab Zweifel an der Zukunft der NATO, die später durch ihre Langsamkeit verstärkt wurden, das Übel in Bosnien und Kroatien anzugehen. Es wurde befürchtet, dass die Bestrebungen der EU, sich enger zusammenzuschließen, entweder scheitern, oder bei Erfolg, Europa und die Vereinigten Staaten auf verhängnisvolle Weise teilen würden. Die Länder Mittel- und Osteuropas fürchteten, eine Grauzone der Armut und Unsicherheit zu werden. Viele fragten sich, ob Russland einem Rückfall in den Kommunismus oder einem nationalistischen Putsch zustrebte.

Im Januar 1994 kam ich zum ersten Mal als Präsident nach Europa - sowohl, um die Wiedergeburt der Freiheit in Europa zu feiern, als auch, um darauf aufzubauen. Damals sprach ich von einer neuen Konzeption der europäischen Sicherheit, nicht auf der Grundlage von getrennten Verteidigungsblöcken, sondern auf der Grundlage politischer, militärischer und kultureller Integration. Diese neue Sicherheitsidee erforderte, dass das transatlantische Bündnis für den Osten Europas das tut, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg für den Westen Europas getan haben.

Gemeinsam haben wir uns an die Arbeit gemacht. Wir haben Handelsschranken abgebaut, junge Demokratien unterstützt, die NATO an neue Herausforderungen angepasst und unser Bündnis über die alten Trennlinien Europas hinweg erweitert. Wir haben klargemacht, dass die Tür der NATO neuen Mitgliedern offen steht. Die EU hat drei neue Mitglieder aufgenommen und Verhandlungen mit einem Dutzend anderer eingeleitet, und einen Binnenmarkt mit einer einheitlichen Währung geschaffen.

Wir stehen Russland zur Seite, das mit dem Aufbau der eigenen Demokratie kämpft, und haben den Weg zu einer Partnerschaft zwischen Russland und der NATO sowie zwischen der Ukraine und der NATO geebnet. Wir haben die unserer Vision eines ungeteilten Europas zugrunde liegenden Werte verteidigt, als wir eingegriffen haben, um die ethnische Säuberung in Bosnien zu beenden, und haben dort einen meiner Ansicht nach dauerhaften Frieden geschaffen..

Im Kosovo erlebte unser Bündnis einen seiner stolzesten Augenblicke. Vor über einem Jahr leiteten wir in Deutschland einen Stabilitätspakt für Südosteuropa in die Wege. Wir stehen noch immer Seite an Seite mit den Verfechtern von Toleranz und Freiheit von Kroatien über die Slowakei bis nach Serbien, und wir ermutigen die Aussöhnung zwischen der Türkei und Griechenland.

In den vergangenen 11 Jahren haben wir natürlich einige Rückschläge erlebt. Aber zweifelsohne ist Europa heute stärker geeint, demokratischer und friedlicher als je zuvor und die Europäer und Amerikaner sollten gleichermaßen stolz darauf sein.

Denken Sie nur daran, wie viel sich verändert hat. Über Grenzen, die Panzer aufhalten sollten, ergießen sich jetzt Invasionen von Touristen und Lastwagen. Die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Europas liegen jetzt auf der anderen Seite des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Vor dem NATO-Hauptquartier wehen die Flaggen von 19 Bündnispartnern und 27 Partnern. In Mittel- und Osteuropa hat der realistische Traum von der Mitgliedschaft in der EU und der NATO die Beilegung von praktisch allen alten ethnischen Konflikten und Grenzstreitigkeiten ausgelöst. Und unser Freund Vaclav Havel ist inzwischen länger Präsident als er im Gefängnis war.

In Südosteuropa kämpfen die Bosnier immer noch, jetzt aber an den Wahlurnen. Kroatien ist eine Demokratie. Soldaten aus fast jedem europäischen Land, darunter ehemals erbitterte Gegner, bewahren im Kosovo den Frieden. Als deutsche Truppen über den Balkan marschierten, wurden sie als Befreier umjubelt. Welch eine Weise, das 20. Jahrhundert zu beenden..

In der Zwischenzeit ist Russland auf dem Weg der Demokratie geblieben, obwohl seine Bürger bittere wirtschaftliche Härten, politische und kriminelle Gewalt und die Tragödie des Kriegs in Tschetschenien erdulden mussten, der sich aufgrund der Opfer unter der Zivilbevölkerung jedoch als kontraproduktiv erweisen könnte. Dennoch hat das Land seine Truppen aus den baltischen Staaten abgezogen, die Unabhängigkeit seiner Nachbarn akzeptiert und den ersten demokratischen Machtwechsel seiner tausendjährigen Geschichte vollzogen.

Die Einheit Europas bringt wirklich etwas Neues hervor - gemeinsame Institutionen, die mächtiger als der Nationalstaat sind, und gleichzeitig eine Delegierung demokratischer Befugnisse nach unten. Schottland und Wales haben eigene Parlamente. Nordirland, wo meine Familie ihre Wurzeln hat, hat seine neue Regierung wiedereingesetzt. Europa hallt wider vom Klang althergebrachter Namen von Landstrichen - Katalonien, Piemont, Lombardei, Schlesien, Transsilvanien und andere - nicht im Namen von Separatismus, sondern im Geiste eines gesunden Stolzes und Vermächtnisses..

Die nationale Souveränität wird durch lebhafte lokale Stimmen bereichert, die Europa sicherer für Vielfalt machen, unsere gemeinsame Menschlichkeit bekräftigen und das Risiko verringern, dass Zwietracht in Europa diesen Kontinent und Amerika in einen weiteren großen Konflikt hineinziehen.

Etwas hat sich dankenswerter Weise nicht verändert. Die Sicherheit Europas ist weiterhin mit der Sicherheit Amerikas verbunden. Wenn die europäische Sicherheit bedroht wird wie in Bosnien und im Kosovo, werden auch wir reagieren. Wenn sie aufgebaut wird, werden auch wir uns immer daran beteiligen.

Der Frieden in Europa ist ein eindringliches Beispiel für andere Regionen der Welt, die nach wie vor entlang ethnischer, religiöser und nationaler Grenzen geteilt sind. Selbst heute gibt es in Europa noch interne Meinungsverschiedenheiten über grundlegende Fragen der Souveränität, politischen Macht und Wirtschaftspolitik - Meinungsverschiedenheiten, die nicht weniger Konsequenzen haben als die, derentwegen Menschen noch immer in anderen Teilen der Welt kämpfen und sterben. Statt heute deswegen zu kämpfen und zu sterben, diskutieren die Europäer darüber in Brüssel im Geiste von Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt.

Die ganze Welt sollte dies zur Kenntnis nehmen. Wenn Westeuropa nach dem Gemetzel des Zweiten Weltkriegs zusammenkommen konnte, wenn Mitteleuropa es nach 50 Jahren Kommunismus konnte, dann ist es überall auf dieser Welt möglich.

Trotz all der positiven Entwicklungen und unseres guten Gefühls heute ist die Aufgabe, ein geeintes Europa zu schaffen, sicherlich noch nicht beendet, und es ist wichtig, sich nicht zu sehr in Eigenlob zu ergehen. Stattdessen sollten wir uns heute auf zwei große unerledigte Aufgaben und eine bleibende Herausforderung konzentrieren. Die erste unerledigte Aufgabe ist, Südosteuropa vollständig und endgültig zu einem Bestandteil des übrigen Europas zu machen. Nur so kann der Frieden in dieser bitterlich geteilten Region Bestand haben.

Dies kann nicht geschehen, indem man Menschen zum Zusammenleben zwingt; man kann das alte Jugoslawien nicht zurückbringen. Es kann nicht geschehen, indem man jeder Gemeinde ihr eigenes Land, ihre eigene Armee und Flagge gibt; die Verlegung so vieler Grenzen auf dem Balkan wird den Frieden nur weiter erschüttern.

Unser Ziel muss es sein, den Balkan zu entbalkanisieren. Wir müssen den Menschen auf dem Balkan helfen, eine Anziehungskraft zu schaffen, die sie zusammenbringt, eine Kraft, die stärker ist als der polarisierende Effekt ihrer alten Hassgefühle. Das ist die Aufgabe des von Deutschland mitgestalteten Stabilitätspakts: Die Herausforderung der Nationen Südosteuropas, ihre Volkswirtschaften zu reformieren und ihre Demokratien zu stärken sowie über sechs Milliarden Dollar aus unseren Ländern für die Unterstützung ihrer Bestrebungen zur Verfügung zu stellen. Jetzt müssen wir diese Zusagen schnell in positive Veränderungen im Leben normaler Menschen verwandeln und diese Nationen schrittweise in die westlichen Institutionen aufnehmen.

Wir müssen außerdem weiter unermüdlich den Übergang zur Demokratie in Serbien unterstützen. Wenn es eine Zukunft für Demokratie und Toleranz in dieser Region geben soll, darf es keine Zukunft für Politiker wie Milosevic und die Politik des ethnischen Hasses und der ethnischen Säuberung geben.

Wenn Südosteuropa vollständig in den Kontinent integriert werden soll, muss auch die Türkei einbezogen werden. Ich begrüße die Entscheidung der EU, die Türkei als echten Beitrittskandidaten zu behandeln. Ich hoffe, sowohl die Türkei als auch die EU werden die nächsten Schritte unternehmen. Das wird gut für die Türkei sein, gut für Südosteuropa, gut für eine rasche Versöhnung zwischen Griechenland und der Türkei, gut für ein Lösung für Zypern und gut für die ganze Welt sein, die immer noch zu sehr durch religiöse Differenzen geteilt ist.

Unsere zweite nicht vollendete Aufgabe betrifft Russland. Wir müssen mit Russland eine Partnerschaft aufbauen, die Stabilität, Demokratie und kooperatives Engagement mit dem Westen ermutigt - sowie die vollständige Integration in die globalen Institutionen.

Nur die Zeit wird zeigen, wie die Rolle Russlands in Europa letztlich aussehen wird. Wir wissen noch nicht, ob die hart erkämpften demokratischen Freiheiten in Russland Bestand haben werden. Wir wissen noch nicht, ob es seine Größe an der Vergangenheit oder der Zukunft messen wird. Das russische Volk wird diese Entscheidungen treffen.

Obwohl der Wandel in Russland noch nicht abgeschlossen ist, gibt der bemerkenswerte von Russland in den letzten Jahren zurückgelegte Weg ganz offensichtlich Grund zur Hoffnung - ein Weg von Diktatur zu Demokratie, vom Kommunismus zur Marktwirtschaft, vom Imperium zum Nationalstaat, vom Gegner zum Partner bei der Verringerung der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. Weil so viel auf dem Spiel steht, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das Entstehen eines Russlands zu ermutigen, das vollständig demokratisch und in seiner Vielfalt geeint ist; ein Russland, das seine Großartigkeit nicht durch die Dominanz über seine Nachbarn, sondern durch die Dominanz der Errungenschaften seines Volks und seiner Partnerschaft definiert; ein Russland, das voll und ganz Teil Europas sein sollte und tatsächlich sein muss.

Das heißt, für Russland dürfen keine Türen verschlossen sein - weder die der NATO noch die der EU. Die Alternative wäre eine Zukunft schädlichen Wettbewerbs zwischen Russland und dem Rest der Welt und eine Absage an unsere Vision eines ungeteilten Kontinents.

Winston Churchill sagte in den sehr viel düstereren Tagen des Jahres 1956: "In einer wirklichen Einheit Europas muss Russland seinen Platz haben." Natürlich kann Russland sehr wohl entscheiden, es habe kein Interesse am offiziellen Beitritt zu europäischen oder transatlantischen Institutionen. Wenn das der Fall ist, müssen wir sicherstellen, dass die östlichen Grenzen der NATO und der EU mit deren Erweiterung Tore für Russland werden und keine Schranken für den Handel, Reisen oder die Sicherheitszusammenarbeit. Wir müssen echte institutionelle Verbindungen zu Russland schaffen, wie es die NATO bereits begonnen hat. Natürlich wird das nicht leicht sein, und auf beiden Seiten ist auch noch Misstrauen zu überwinden, aber es ist möglich und absolut notwendig.

Die für die Einbeziehung Südosteuropas und Russlands in die europäische Einheit notwendigen Schritte veranschaulichen die Bedeutung, die das transatlantische Bündnis weiterhin sowohl für Europa als auch Amerika hat. Die andauernde Herausforderung, der wir uns gegenübersehen, besteht deshalb in der Bewahrung und Stärkung unseres Bündnisses, während Europa weiter zusammenwächst.

Wir haben uns auf die Grundsätze geeinigt; wir haben das Fundament gelegt. Aber die Zukunft, die wir aufbauen, wird ganz anders aussehen als alles, was wir bisher kannten. In einer Generation wird die EU meines Erachtens 30 Mitglieder haben, vom Baltikum über den Balkan bis zur Türkei - eine Gemeinschaft beispielloser kultureller, politischer und wirtschaftlicher Vielfalt und Vitalität. Es wird ein größeres Europa sein als Karl der Große je zu träumen wagte, eine Widerspiegelung unserer Erkenntnis, dass Europa letztlich ebenso sehr eine einigende Idee wie ein besonderer Ort ist. Ein weitläufiger Kontinent verschiedener Völker mit einem gemeinsamen Schicksal, gemeinsamen Spielregeln und gemeinsamen Wahrheiten - dass ethnischer und religiöser Hass inakzeptabel, Menschenrechte unantastbar und allgemeingültig, unsere Unterschiede eine Quelle der Stärke und nicht der Schwäche sind und Konflikte durch Argumente, nicht mit Waffen beigelegt werden müssen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Vereinigten Staaten die ehrgeizigsten Bestrebungen Europas für seine Einheit weiterhin unterstützen müssen. Und ich glaube, dass Europa, während es stärker wird, unser Bündnis stärken sollte. Das Bündnis war ein halbes Jahrhundert lang das Fundament unserer Sicherheit. Es kann das Fundament sein, auf dem wir unsere gemeinsame Zukunft aufbauen.

Es ist leicht, unsere Unterschiede hervorzuheben. Viele tun das. An meinen schlechten Tagen tue auch ich das. Aber wir sollten eine gesunde Sichtweise bewahren. Man denke nur an diese Schlagzeilen über Streitigkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Europa: "Bündnispartner beschweren sich über die strenge Hand Washingtons", "Frankreich zur NATO: Non, merci", "Die Vereinigten Staaten erklären den Bündnispartnern den Wirtschaftskrieg", "Demonstranten protestieren gegen amerikanischen Rüstungsplan". Die erste dieser Schlagzeilen stammt aus der Zeit der Suezkrise 1956. Die zweite datiert von 1966, als sich Frankreich aus der integrierten militärischen Struktur des Bündnisses zurückzog. Die dritte ist von 1981, während der Krise wegen der sibirischen Pipeline. Die vierte wurde 1986 veröffentlicht, während der Debatte über die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa.

Natürlich gab es immer Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, und da wir nur Menschen und nicht perfekt sind, wird das auch immer so bleiben. Tatsache ist aber: Da Europa ebenso sehr eine Idee wie ein Ort ist, sind die Vereinigten Staaten auch Teil Europas, verbunden durch die Bande der Familie, der Geschichte und der Werte.

Mehr als je zuvor sind wir auch tatsächlich miteinander verbunden. Unterwasserkabel ermöglichen den unmittelbaren gegenseitigen Versand einer gewaltigen Anzahl von E-Mails und den E-Commerce. Eine Milliarde Dollar an Handel und Investitionen werden jeden Tag hin und her bewegt und schaffen so 14 Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks.

Und dann ist da die dauerhafte Verbindung - die 104.000 Amerikaner, die auf Militärfriedhöfen in ganz Europa begraben sind. Ohne sie gäbe es das heutige Europa nicht.

Also müssen wir die Bande stärken, die uns bei unseren Bemühungen verbinden, echte Meinungsverschiedenheiten beizulegen und womöglich schädliche Fehleinschätzungen auf beiden Seiten des Atlantiks zu korrigieren. Ich möchte nur zwei nennen.

In den Vereinigten Staaten herrscht momentan die Ansicht, Europa übernehme nicht immer den ihm gebührenden Anteil an unseren gemeinsamen Aufgaben. Allerdings stellen die Europäer mehr als 80 Prozent sowohl der Soldaten für die Friedenssicherung im Kosovo als auch der Mittel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau dort. Und nur wenige Amerikaner wissen, dass die Europäer - in unserem eigenen Hinterhof - mehr als 60 Prozent der Hilfe für Mittelamerika finanzierten, als es von dem Hurrikan Mitch verwüstet wurde, und ein Drittel aller Unterstützungsleistungen für den Frieden in Guatemala erbrachten.

Gleichzeitig ist man in Europa der Ansicht, dass die - militärische, wirtschaftliche und kulturelle - Macht der Vereinigten Staaten manchmal zu überwältigend ist. Vielleicht hat unsere Rolle beim Luftangriff der NATO im Kosovo derartige Ängste geschürt. Im Kosovo übten wir unsere Macht allerdings im Bündnis mit Europa aus, in Verfolgung unseres gemeinsamen Interesses an Frieden und Stabilität in Europa, zur Verteidigung gemeinsamer entscheidender Werte für das Ziel der europäischen Integration.

Wenn die europäischen Länder nach den Ereignissen im Kosovo ihre eigene Fähigkeit verbessern, in Krisenzeiten mit größerer Autorität und Verantwortung zu handeln und dabei gleichzeitig die transatlantische Verbindung wahren, wäre das meiner Ansicht nach eine gute Sache. Es besteht kein Widerspruch zwischen einem starken Europa und einer starken transatlantischen Partnerschaft.

Ich möchte außerdem betonen, dass unsere Partnerschaft nicht nur für uns von herausragender Bedeutung ist, sondern auch für die übrige Welt. Gemeinsam erbringen wir mehr als die Hälfte der Leistungen der Weltwirtschaft und stellen 90 Prozent der weltweiten humanitären Hilfe. Wenn wir den Kampf gegen Terrorismus, das organisierte Verbrechen und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gewinnen wollen, wenn wir Toleranz gegenüber anderen Ethnien, Religionen und Rassen fördern wollen, wenn wir die Erderwärmung, Umweltverschmutzung und Infektionskrankheiten bekämpfen, die Armut lindern und die digitale Kluft schließen wollen, dann müssen wir diese Dinge ganz offensichtlich gemeinsam tun.

Europa und die Vereinigten Staaten sollten aus unserem transatlantischen Bündnis Kraft schöpfen. Europa sollte sich nicht von ihm bedroht fühlen, und Amerika sollte nicht auf diejenigen hören, die den Alleingang predigen. Die Vereinigten Staaten müssen der gute Partner und gute Verbündete Europas bleiben.

Die von Lord Palmerston aufgestellte Regel, dass Länder keine dauerhaften Bündnisse, sondern nur dauerhafte Interessen haben, lässt sich auf unsere Beziehungen ganz einfach nicht anwenden. Denn die Vereinigten Staaten haben ein dauerhaftes Interesse an einem dauerhaften Bündnis mit Europa. Unsere gemeinsame Zukunft ist tief in unserer gemeinsamen Geschichte verwurzelt. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg ging zum Teil aus dem Siebenjährigen Krieg hervor- der wiederum auf einen 1748 in Aachen unterzeichneten Vertrag zurückzuführen ist

Vor einiger Zeit stand ich an der Mündung des Flusses Tajo in Lissabon. Von diesem Ort aus begannen mutige Europäer vor 500 Jahren die entfernten Winkel unserer Erde zu erforschen. Sie legten unvorstellbare Entfernungen zurück und überwanden unbeschreibliche Widerstände bei ihrer Suche nach Asien, Afrika und dem gesamtamerikanischen Kontinent. Ihnen folgten die Söhne und Töchter dieses Kontinents über den Atlantik und besiedelten Orte, die sie Neu-Spanien, Neu-England, Neu-Frankreich, Neu-Niederlande, Nova Scotia und Neu-Schweden nannten - kurz gesagt, ein neues Europa. Ohne die Sehnsucht nach einem neuen Europa hätte es überhaupt kein Amerika gegeben.

Jetzt, da die Sehnsucht nach einem neuen Europa den alten Kontinent erfasst, sollte ein Gefühl der Unvermeidbarkeit der Geschichte unser Erstaunen darüber nicht schmälern, wie bemerkenswert die Europäer den Rest der Welt verändert haben - durch Unternehmergeist, Phantasie und ihre Fähigkeit zu Wachstum - Eigenschaften, die die Identität Europas immer sehr viel genauer beschreiben werden als es ein Kartograph je könnte.



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