Vor 12 Jahren
fiel die Berliner Mauer, der Eiserne Vorhang öffnete sich,
und endlich tat sich vor uns die Aussicht auf ein ungeteiltes und
freies Europa auf. Wir alle werden uns an 1989 als das Datum erinnern,
an dem die Mauer zu den lauten Klängen von Schillers "Ode an
die Freude" fiel. Es war ein Augenblick großer Befreiung -
wie 1789 oder 1848 - ein besonderer Triumph für das deutsche
Volk, dessen Vereinigung große Unbilden überwand und
den Weg für die umfassendere Vereinigung Europas ebnete.
Zu häufig
vergessen wir, dass 1989 auch eine Zeit großer Unsicherheit
bezüglich der Zukunft war. Es gab Zweifel an der Zukunft der
NATO, die später durch ihre Langsamkeit verstärkt wurden,
das Übel in Bosnien und Kroatien anzugehen. Es wurde befürchtet,
dass die Bestrebungen der EU, sich enger zusammenzuschließen,
entweder scheitern, oder bei Erfolg, Europa und die Vereinigten
Staaten auf verhängnisvolle Weise teilen würden. Die Länder
Mittel- und Osteuropas fürchteten, eine Grauzone der Armut
und Unsicherheit zu werden. Viele fragten sich, ob Russland einem
Rückfall in den Kommunismus oder einem nationalistischen Putsch
zustrebte.
Im Januar 1994
kam ich zum ersten Mal als Präsident nach Europa - sowohl,
um die Wiedergeburt der Freiheit in Europa zu feiern, als auch,
um darauf aufzubauen. Damals sprach ich von einer neuen Konzeption
der europäischen Sicherheit, nicht auf der Grundlage von getrennten
Verteidigungsblöcken, sondern auf der Grundlage politischer,
militärischer und kultureller Integration. Diese neue Sicherheitsidee
erforderte, dass das transatlantische Bündnis für den
Osten Europas das tut, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg für
den Westen Europas getan haben.
Gemeinsam haben
wir uns an die Arbeit gemacht. Wir haben Handelsschranken abgebaut,
junge Demokratien unterstützt, die NATO an neue Herausforderungen
angepasst und unser Bündnis über die alten Trennlinien
Europas hinweg erweitert. Wir haben klargemacht, dass die Tür
der NATO neuen Mitgliedern offen steht. Die EU hat drei neue Mitglieder
aufgenommen und Verhandlungen mit einem Dutzend anderer eingeleitet,
und einen Binnenmarkt mit einer einheitlichen Währung geschaffen.
Wir stehen
Russland zur Seite, das mit dem Aufbau der eigenen Demokratie kämpft,
und haben den Weg zu einer Partnerschaft zwischen Russland und der
NATO sowie zwischen der Ukraine und der NATO geebnet. Wir haben
die unserer Vision eines ungeteilten Europas zugrunde liegenden
Werte verteidigt, als wir eingegriffen haben, um die ethnische Säuberung
in Bosnien zu beenden, und haben dort einen meiner Ansicht nach
dauerhaften Frieden geschaffen..
Im Kosovo erlebte
unser Bündnis einen seiner stolzesten Augenblicke. Vor über
einem Jahr leiteten wir in Deutschland einen Stabilitätspakt
für Südosteuropa in die Wege. Wir stehen noch immer Seite
an Seite mit den Verfechtern von Toleranz und Freiheit von Kroatien
über die Slowakei bis nach Serbien, und wir ermutigen die Aussöhnung
zwischen der Türkei und Griechenland.
In den vergangenen
11 Jahren haben wir natürlich einige Rückschläge
erlebt. Aber zweifelsohne ist Europa heute stärker geeint,
demokratischer und friedlicher als je zuvor und die Europäer
und Amerikaner sollten gleichermaßen stolz darauf sein.
Denken Sie
nur daran, wie viel sich verändert hat. Über Grenzen,
die Panzer aufhalten sollten, ergießen sich jetzt Invasionen
von Touristen und Lastwagen. Die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften
Europas liegen jetzt auf der anderen Seite des ehemaligen Eisernen
Vorhangs. Vor dem NATO-Hauptquartier wehen die Flaggen von 19 Bündnispartnern
und 27 Partnern. In Mittel- und Osteuropa hat der realistische Traum
von der Mitgliedschaft in der EU und der NATO die Beilegung von
praktisch allen alten ethnischen Konflikten und Grenzstreitigkeiten
ausgelöst. Und unser Freund Vaclav Havel ist inzwischen länger
Präsident als er im Gefängnis war.
In Südosteuropa
kämpfen die Bosnier immer noch, jetzt aber an den Wahlurnen.
Kroatien ist eine Demokratie. Soldaten aus fast jedem europäischen
Land, darunter ehemals erbitterte Gegner, bewahren im Kosovo den
Frieden. Als deutsche Truppen über den Balkan marschierten,
wurden sie als Befreier umjubelt. Welch eine Weise, das 20. Jahrhundert
zu beenden..
In der Zwischenzeit
ist Russland auf dem Weg der Demokratie geblieben, obwohl seine
Bürger bittere wirtschaftliche Härten, politische und
kriminelle Gewalt und die Tragödie des Kriegs in Tschetschenien
erdulden mussten, der sich aufgrund der Opfer unter der Zivilbevölkerung
jedoch als kontraproduktiv erweisen könnte. Dennoch hat das
Land seine Truppen aus den baltischen Staaten abgezogen, die Unabhängigkeit
seiner Nachbarn akzeptiert und den ersten demokratischen Machtwechsel
seiner tausendjährigen Geschichte vollzogen.
Die Einheit
Europas bringt wirklich etwas Neues hervor - gemeinsame Institutionen,
die mächtiger als der Nationalstaat sind, und gleichzeitig
eine Delegierung demokratischer Befugnisse nach unten. Schottland
und Wales haben eigene Parlamente. Nordirland, wo meine Familie
ihre Wurzeln hat, hat seine neue Regierung wiedereingesetzt. Europa
hallt wider vom Klang althergebrachter Namen von Landstrichen -
Katalonien, Piemont, Lombardei, Schlesien, Transsilvanien und andere
- nicht im Namen von Separatismus, sondern im Geiste eines gesunden
Stolzes und Vermächtnisses..
Die nationale
Souveränität wird durch lebhafte lokale Stimmen bereichert,
die Europa sicherer für Vielfalt machen, unsere gemeinsame
Menschlichkeit bekräftigen und das Risiko verringern, dass
Zwietracht in Europa diesen Kontinent und Amerika in einen weiteren
großen Konflikt hineinziehen.
Etwas hat sich
dankenswerter Weise nicht verändert. Die Sicherheit Europas
ist weiterhin mit der Sicherheit Amerikas verbunden. Wenn die europäische
Sicherheit bedroht wird wie in Bosnien und im Kosovo, werden auch
wir reagieren. Wenn sie aufgebaut wird, werden auch wir uns immer
daran beteiligen.
Der Frieden
in Europa ist ein eindringliches Beispiel für andere Regionen
der Welt, die nach wie vor entlang ethnischer, religiöser und
nationaler Grenzen geteilt sind. Selbst heute gibt es in Europa
noch interne Meinungsverschiedenheiten über grundlegende Fragen
der Souveränität, politischen Macht und Wirtschaftspolitik
- Meinungsverschiedenheiten, die nicht weniger Konsequenzen haben
als die, derentwegen Menschen noch immer in anderen Teilen der Welt
kämpfen und sterben. Statt heute deswegen zu kämpfen und
zu sterben, diskutieren die Europäer darüber in Brüssel
im Geiste von Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt.
Die ganze Welt
sollte dies zur Kenntnis nehmen. Wenn Westeuropa nach dem Gemetzel
des Zweiten Weltkriegs zusammenkommen konnte, wenn Mitteleuropa
es nach 50 Jahren Kommunismus konnte, dann ist es überall auf
dieser Welt möglich.
Trotz all der
positiven Entwicklungen und unseres guten Gefühls heute ist
die Aufgabe, ein geeintes Europa zu schaffen, sicherlich noch nicht
beendet, und es ist wichtig, sich nicht zu sehr in Eigenlob zu ergehen.
Stattdessen sollten wir uns heute auf zwei große unerledigte
Aufgaben und eine bleibende Herausforderung konzentrieren. Die erste
unerledigte Aufgabe ist, Südosteuropa vollständig und
endgültig zu einem Bestandteil des übrigen Europas zu
machen. Nur so kann der Frieden in dieser bitterlich geteilten Region
Bestand haben.
Dies kann nicht
geschehen, indem man Menschen zum Zusammenleben zwingt; man kann
das alte Jugoslawien nicht zurückbringen. Es kann nicht geschehen,
indem man jeder Gemeinde ihr eigenes Land, ihre eigene Armee und
Flagge gibt; die Verlegung so vieler Grenzen auf dem Balkan wird
den Frieden nur weiter erschüttern.
Unser Ziel
muss es sein, den Balkan zu entbalkanisieren. Wir müssen den
Menschen auf dem Balkan helfen, eine Anziehungskraft zu schaffen,
die sie zusammenbringt, eine Kraft, die stärker ist als der
polarisierende Effekt ihrer alten Hassgefühle. Das ist die
Aufgabe des von Deutschland mitgestalteten Stabilitätspakts:
Die Herausforderung der Nationen Südosteuropas, ihre Volkswirtschaften
zu reformieren und ihre Demokratien zu stärken sowie über
sechs Milliarden Dollar aus unseren Ländern für die Unterstützung
ihrer Bestrebungen zur Verfügung zu stellen. Jetzt müssen
wir diese Zusagen schnell in positive Veränderungen im Leben
normaler Menschen verwandeln und diese Nationen schrittweise in
die westlichen Institutionen aufnehmen.
Wir müssen
außerdem weiter unermüdlich den Übergang zur Demokratie
in Serbien unterstützen. Wenn es eine Zukunft für Demokratie
und Toleranz in dieser Region geben soll, darf es keine Zukunft
für Politiker wie Milosevic und die Politik des ethnischen
Hasses und der ethnischen Säuberung geben.
Wenn Südosteuropa
vollständig in den Kontinent integriert werden soll, muss auch
die Türkei einbezogen werden. Ich begrüße die Entscheidung
der EU, die Türkei als echten Beitrittskandidaten zu behandeln.
Ich hoffe, sowohl die Türkei als auch die EU werden die nächsten
Schritte unternehmen. Das wird gut für die Türkei sein,
gut für Südosteuropa, gut für eine rasche Versöhnung
zwischen Griechenland und der Türkei, gut für ein Lösung
für Zypern und gut für die ganze Welt sein, die immer
noch zu sehr durch religiöse Differenzen geteilt ist.
Unsere zweite
nicht vollendete Aufgabe betrifft Russland. Wir müssen mit
Russland eine Partnerschaft aufbauen, die Stabilität, Demokratie
und kooperatives Engagement mit dem Westen ermutigt - sowie die
vollständige Integration in die globalen Institutionen.
Nur die Zeit
wird zeigen, wie die Rolle Russlands in Europa letztlich aussehen
wird. Wir wissen noch nicht, ob die hart erkämpften demokratischen
Freiheiten in Russland Bestand haben werden. Wir wissen noch nicht,
ob es seine Größe an der Vergangenheit oder der Zukunft
messen wird. Das russische Volk wird diese Entscheidungen treffen.
Obwohl der
Wandel in Russland noch nicht abgeschlossen ist, gibt der bemerkenswerte
von Russland in den letzten Jahren zurückgelegte Weg ganz offensichtlich
Grund zur Hoffnung - ein Weg von Diktatur zu Demokratie, vom Kommunismus
zur Marktwirtschaft, vom Imperium zum Nationalstaat, vom Gegner
zum Partner bei der Verringerung der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen.
Weil so viel auf dem Spiel steht, müssen wir alles in unserer
Macht Stehende tun, um das Entstehen eines Russlands zu ermutigen,
das vollständig demokratisch und in seiner Vielfalt geeint
ist; ein Russland, das seine Großartigkeit nicht durch die
Dominanz über seine Nachbarn, sondern durch die Dominanz der
Errungenschaften seines Volks und seiner Partnerschaft definiert;
ein Russland, das voll und ganz Teil Europas sein sollte und tatsächlich
sein muss.
Das heißt,
für Russland dürfen keine Türen verschlossen sein
- weder die der NATO noch die der EU. Die Alternative wäre
eine Zukunft schädlichen Wettbewerbs zwischen Russland und
dem Rest der Welt und eine Absage an unsere Vision eines ungeteilten
Kontinents.
Winston Churchill
sagte in den sehr viel düstereren Tagen des Jahres 1956: "In
einer wirklichen Einheit Europas muss Russland seinen Platz haben."
Natürlich kann Russland sehr wohl entscheiden, es habe kein
Interesse am offiziellen Beitritt zu europäischen oder transatlantischen
Institutionen. Wenn das der Fall ist, müssen wir sicherstellen,
dass die östlichen Grenzen der NATO und der EU mit deren Erweiterung
Tore für Russland werden und keine Schranken für den Handel,
Reisen oder die Sicherheitszusammenarbeit. Wir müssen echte
institutionelle Verbindungen zu Russland schaffen, wie es die NATO
bereits begonnen hat. Natürlich wird das nicht leicht sein,
und auf beiden Seiten ist auch noch Misstrauen zu überwinden,
aber es ist möglich und absolut notwendig.
Die für
die Einbeziehung Südosteuropas und Russlands in die europäische
Einheit notwendigen Schritte veranschaulichen die Bedeutung, die
das transatlantische Bündnis weiterhin sowohl für Europa
als auch Amerika hat. Die andauernde Herausforderung, der wir uns
gegenübersehen, besteht deshalb in der Bewahrung und Stärkung
unseres Bündnisses, während Europa weiter zusammenwächst.
Wir haben uns
auf die Grundsätze geeinigt; wir haben das Fundament gelegt.
Aber die Zukunft, die wir aufbauen, wird ganz anders aussehen als
alles, was wir bisher kannten. In einer Generation wird die EU meines
Erachtens 30 Mitglieder haben, vom Baltikum über den Balkan
bis zur Türkei - eine Gemeinschaft beispielloser kultureller,
politischer und wirtschaftlicher Vielfalt und Vitalität. Es
wird ein größeres Europa sein als Karl der Große
je zu träumen wagte, eine Widerspiegelung unserer Erkenntnis,
dass Europa letztlich ebenso sehr eine einigende Idee wie ein besonderer
Ort ist. Ein weitläufiger Kontinent verschiedener Völker
mit einem gemeinsamen Schicksal, gemeinsamen Spielregeln und gemeinsamen
Wahrheiten - dass ethnischer und religiöser Hass inakzeptabel,
Menschenrechte unantastbar und allgemeingültig, unsere Unterschiede
eine Quelle der Stärke und nicht der Schwäche sind und
Konflikte durch Argumente, nicht mit Waffen beigelegt werden müssen.
Ich bin davon
überzeugt, dass die Vereinigten Staaten die ehrgeizigsten Bestrebungen
Europas für seine Einheit weiterhin unterstützen müssen.
Und ich glaube, dass Europa, während es stärker wird,
unser Bündnis stärken sollte. Das Bündnis war ein
halbes Jahrhundert lang das Fundament unserer Sicherheit. Es kann
das Fundament sein, auf dem wir unsere gemeinsame Zukunft aufbauen.
Es ist leicht,
unsere Unterschiede hervorzuheben. Viele tun das. An meinen schlechten
Tagen tue auch ich das. Aber wir sollten eine gesunde Sichtweise
bewahren. Man denke nur an diese Schlagzeilen über Streitigkeiten
zwischen den Vereinigten Staaten und Europa: "Bündnispartner
beschweren sich über die strenge Hand Washingtons", "Frankreich
zur NATO: Non, merci", "Die Vereinigten Staaten erklären den
Bündnispartnern den Wirtschaftskrieg", "Demonstranten protestieren
gegen amerikanischen Rüstungsplan". Die erste dieser Schlagzeilen
stammt aus der Zeit der Suezkrise 1956. Die zweite datiert von 1966,
als sich Frankreich aus der integrierten militärischen Struktur
des Bündnisses zurückzog. Die dritte ist von 1981, während
der Krise wegen der sibirischen Pipeline. Die vierte wurde 1986
veröffentlicht, während der Debatte über die Stationierung
von nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa.
Natürlich
gab es immer Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, und da wir
nur Menschen und nicht perfekt sind, wird das auch immer so bleiben.
Tatsache ist aber: Da Europa ebenso sehr eine Idee wie ein Ort ist,
sind die Vereinigten Staaten auch Teil Europas, verbunden durch
die Bande der Familie, der Geschichte und der Werte.
Mehr als je
zuvor sind wir auch tatsächlich miteinander verbunden. Unterwasserkabel
ermöglichen den unmittelbaren gegenseitigen Versand einer gewaltigen
Anzahl von E-Mails und den E-Commerce. Eine Milliarde Dollar an
Handel und Investitionen werden jeden Tag hin und her bewegt und
schaffen so 14 Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des
Atlantiks.
Und dann ist
da die dauerhafte Verbindung - die 104.000 Amerikaner, die auf Militärfriedhöfen
in ganz Europa begraben sind. Ohne sie gäbe es das heutige
Europa nicht.
Also müssen
wir die Bande stärken, die uns bei unseren Bemühungen
verbinden, echte Meinungsverschiedenheiten beizulegen und womöglich
schädliche Fehleinschätzungen auf beiden Seiten des Atlantiks
zu korrigieren. Ich möchte nur zwei nennen.
In den Vereinigten
Staaten herrscht momentan die Ansicht, Europa übernehme nicht
immer den ihm gebührenden Anteil an unseren gemeinsamen Aufgaben.
Allerdings stellen die Europäer mehr als 80 Prozent sowohl
der Soldaten für die Friedenssicherung im Kosovo als auch der
Mittel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau dort. Und nur
wenige Amerikaner wissen, dass die Europäer - in unserem eigenen
Hinterhof - mehr als 60 Prozent der Hilfe für Mittelamerika
finanzierten, als es von dem Hurrikan Mitch verwüstet wurde,
und ein Drittel aller Unterstützungsleistungen für den
Frieden in Guatemala erbrachten.
Gleichzeitig
ist man in Europa der Ansicht, dass die - militärische, wirtschaftliche
und kulturelle - Macht der Vereinigten Staaten manchmal zu überwältigend
ist. Vielleicht hat unsere Rolle beim Luftangriff der NATO im Kosovo
derartige Ängste geschürt. Im Kosovo übten wir unsere
Macht allerdings im Bündnis mit Europa aus, in Verfolgung unseres
gemeinsamen Interesses an Frieden und Stabilität in Europa,
zur Verteidigung gemeinsamer entscheidender Werte für das Ziel
der europäischen Integration.
Wenn die europäischen
Länder nach den Ereignissen im Kosovo ihre eigene Fähigkeit
verbessern, in Krisenzeiten mit größerer Autorität
und Verantwortung zu handeln und dabei gleichzeitig die transatlantische
Verbindung wahren, wäre das meiner Ansicht nach eine gute Sache.
Es besteht kein Widerspruch zwischen einem starken Europa und einer
starken transatlantischen Partnerschaft.
Ich möchte
außerdem betonen, dass unsere Partnerschaft nicht nur für
uns von herausragender Bedeutung ist, sondern auch für die
übrige Welt. Gemeinsam erbringen wir mehr als die Hälfte
der Leistungen der Weltwirtschaft und stellen 90 Prozent der weltweiten
humanitären Hilfe. Wenn wir den Kampf gegen Terrorismus, das
organisierte Verbrechen und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
gewinnen wollen, wenn wir Toleranz gegenüber anderen Ethnien,
Religionen und Rassen fördern wollen, wenn wir die Erderwärmung,
Umweltverschmutzung und Infektionskrankheiten bekämpfen, die
Armut lindern und die digitale Kluft schließen wollen, dann
müssen wir diese Dinge ganz offensichtlich gemeinsam tun.
Europa und
die Vereinigten Staaten sollten aus unserem transatlantischen Bündnis
Kraft schöpfen. Europa sollte sich nicht von ihm bedroht fühlen,
und Amerika sollte nicht auf diejenigen hören, die den Alleingang
predigen. Die Vereinigten Staaten müssen der gute Partner und
gute Verbündete Europas bleiben.
Die von Lord
Palmerston aufgestellte Regel, dass Länder keine dauerhaften
Bündnisse, sondern nur dauerhafte Interessen haben, lässt
sich auf unsere Beziehungen ganz einfach nicht anwenden. Denn die
Vereinigten Staaten haben ein dauerhaftes Interesse an einem dauerhaften
Bündnis mit Europa. Unsere gemeinsame Zukunft ist tief in unserer
gemeinsamen Geschichte verwurzelt. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg
ging zum Teil aus dem Siebenjährigen Krieg hervor- der wiederum
auf einen 1748 in Aachen unterzeichneten Vertrag zurückzuführen
ist
Vor einiger
Zeit stand ich an der Mündung des Flusses Tajo in Lissabon.
Von diesem Ort aus begannen mutige Europäer vor 500 Jahren
die entfernten Winkel unserer Erde zu erforschen. Sie legten unvorstellbare
Entfernungen zurück und überwanden unbeschreibliche Widerstände
bei ihrer Suche nach Asien, Afrika und dem gesamtamerikanischen
Kontinent. Ihnen folgten die Söhne und Töchter dieses
Kontinents über den Atlantik und besiedelten Orte, die sie
Neu-Spanien, Neu-England, Neu-Frankreich, Neu-Niederlande, Nova
Scotia und Neu-Schweden nannten - kurz gesagt, ein neues Europa.
Ohne die Sehnsucht nach einem neuen Europa hätte es überhaupt
kein Amerika gegeben.
Jetzt, da die
Sehnsucht nach einem neuen Europa den alten Kontinent erfasst, sollte
ein Gefühl der Unvermeidbarkeit der Geschichte unser Erstaunen
darüber nicht schmälern, wie bemerkenswert die Europäer
den Rest der Welt verändert haben - durch Unternehmergeist,
Phantasie und ihre Fähigkeit zu Wachstum - Eigenschaften, die
die Identität Europas immer sehr viel genauer beschreiben werden
als es ein Kartograph je könnte.
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