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• Interview
Mit der Erweiterung der EU kommt der deutsch-französischen Partnerschaft heute eine noch größere Bedeutung zu als in der Vergangenheit. Eine Union, die 25 oder mehr Mitglieder umfasst, wird nur dann zu einer wirklichen Einheit finden, wenn ihr Deutschland und Frankreich als Bindeglied und Integrationsmotor dienen. Ein weiterer Faktor, der nicht minder wichtig ist, besteht in dem dauerhaften Engagement der Bürger zu beiden Seiten des Rheins zugunsten der deutsch-französischen Sache. Das Ziel besteht vor allem darin, den Dialog der Zivilgesellschaften auszuweiten, in beiden Ländern das Erlernen der Sprache des jeweiligen Partnerlandes zu fördern und die leider immer noch weit verbreiteten Klischeevorstellungen aus der Welt zu schaffen.© 2000
Peter HARTMANN - Botschafter der Bundesrepublik Deutschland
in Frankreich


Deutsch-französisches Forum: Wird das couple franco-allemand auch im künftigen, größer werdenden Europa noch der Motor der Integration sein?

Peter Hartmann: Nach 50 Jahren Aussöhnung und Freundschaft sind Deutschland und Frankreich heute auf einer völlig neuen Ebene der Beziehungen angekommen. Mit keinem anderen Partner stimmen wir uns in praktisch allen Bereichen, die politisch von Belang sind, so eng ab. Zwei Gipfelbegegnungen pro Jahr, regelmässige Konsultationen und Seminare der Aussenminister, viele bilaterale Fachministerräte - keine Woche vergeht, in der nicht deutsch-französische Begegnungen auf dem Programm stehen, von den zahlreichen Treffen im europäischen Rahmen ganz zu schweigen. Diese privilegierte Partnerschaft bleibt auch für die Zukunft unerlässlich.

Die deutsch-französischen Beziehungen sind in keiner Weise exklusiv. Natürlich ist es unser Interesse, mit allen europäischen Partnern enge und vertrauensvolle Beziehungen zu pflegen. Wir können mit Genugtuung feststellen, dass dies heute der Fall ist. Die deutsch-französisch-polnische Zusammenarbeit im Rahmen des Weimarer Dreiecks ist hierfür ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Und auch der gemeinsame Appell von Bundeskanzler Schröder, Staatspräsident Chirac und Premierminister Blair an den amerikanischen Senat zur Ratifizierung des CTBT zeigt, dass wir unsere besonders engen Beziehungen gerne mit weiteren Partnern teilen. Weiteres Beispiel dafür ist die gemeinsame Initiative der Innenminister Deutschlands, Frankreichs und Grossbritanniens vor dem Europäischen Sonderrat in Tampere im Oktober letzten Jahres. Mit unseren Vorschlägen für ein gemeinsames europäisches Asylsystem, für einen europäischen Rechtsraum und zur Verbrechensbekämpfung auf europäischer Ebene haben wir den Beschlüssen der 15 Staats- und Regierungschefs wichtige Impulse gegeben.

Aber richtig ist auch: mit uns und Frankreich wird es auch im grösser werdenden Europa immer etwas besonderes bleiben. Wie der Bundeskanzler in seiner Berliner Rede gesagt hat: „Fankreich und Deutschland bleiben auch in Zukunft die Schwungräder der europäischen Einigung. Die deutsch-französische Freundschaft ist eine Herzensangelegenheit". Sie ist zugleich ein Gebot der politischen Vernunft. Sie ergibt sich aus der nüchternen Feststellung, dass Deutschland und Frankreich im jeweils eigenen Interesse aufeinander angewiesen sind, dass die europäische Einigung mit der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen steht und fällt.

Ich denke, das deutsch-französische Paar kann heute damit leben, dass der grosse Gefühlsrausch, gewissermassen die Flitterwochen, vorüber sind. Wir sind inzwischen eine Vernunftehe eingegangen, eine Verbindung, die haltbar ist und nicht zuletzt getragen wird von der gemeinsamen Verantwortung für Europa.

Das Erfolgsgeheimnis des deutsch-französischen Motors liegt vielleicht gerade in der Verschiedenheit unserer Interessen, Traditionen und Denkweisen. Wir hatten Erfolg, weil wir diese unterschiedlichen Interessen und Überzeugungen im Kompromisswege immer wieder zu einem gemeinsamen Willen und Handeln verbinden konnten.

Die Erweiterung der Europäischen Union macht die deutsch-französische Partnerschaft heute noch wichtiger als früher: Eine EU mit 25 und mehr Mitgliedstaaten wird nur dann wirklich zusammenwachsen, wenn Deutschland und Frankreich als inneres Scharnier und Integrationsmotor wirken. Als Grundlage dafür brauchen wir eine starke Vertrauensbasis, wie wir sie heute haben und die es zu erhalten und auszubauen gilt. Dies bleibt auch in Zukunft eine ständige Herausforderung an Politiker und Diplomaten beider Seiten. Ebenso wesentlich bleibt, dass sich Bürger auf beiden Seiten des Rheins weiterhin für die deutsch-französische Sache engagieren. Das gilt für die Regional- und Städtepartnerschaften, den Kulturaustausch und nicht zuletzt für die Begegnung zwischen Millionen junger Deutscher und Franzosen. Hier gilt es heute anzusetzen. Es geht vor allem darum, den Dialog der Zivilgesellschaften auszuweiten, den Erwerb von Sprachkenntnissen des Partners zu fördern und leider immer noch vorhandene Klischees abzubauen.

Forum: Europa - das ist für viele noch immer ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg. Was können Deutschland und Frankreich gemeinsam tun, um die politische Rolle Europas in der Welt zu stärken?

P. Hartmann: Mit der gemeinsamen Währung haben wir gewissermassen den Rubikon überschritten. Europa ist zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden. Europa muss sich jetzt auch stärker als bisher als politische Union verstehen. Dies gilt vor allem für die Aussenpolitik, wo wir unser Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen müssen, um unseren Werten und Interessen Geltung zu verschaffen.

Ein Beispiel dafür, wie dies gelingen kann, ist die Kosovo-Krise. Ohne Übertreibung können wir heute sagen, dass Europa in dieser Krise aussenpolitisch an Statur gewonnen hat. Insbesondere Deutschland und Frankreich haben eine nahtlose Übereinstimmung bewiesen. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man an unsere unterschiedlichen Positionen am Beginn des Auseinanderbrechens Jugoslawiens denkt. Das Kontaktgruppen-Treffen in Rambouillet, der 5-Punkte-Plan Aussenminister Fischers und nicht zuletzt der Stabilitätspakt für den Balkan sind Beweis für europäische Handlungsfähigkeit bei der Bewältigung einer der schwersten Krisen auf unserem Kontinent seit 1945. Deutschland und Frankreich haben gemeinsam an einem Strang gezogen und der europäischen Haltung wesentliche Impulse gegeben. Schliesslich wollen wir die auch symbolisch bedeutsame Tatsache würdigen, dass heute deutsche und französische Soldaten Seite an Seite den Frieden in der Region sichern.

Forum: Was versprechen Sie sich von der Ernennung Javier Solanas zum Monsieur PESC der Europäischen Union?

P. Hartmann: Javier Solana wird künftig die Stimme Europas in den internationalen Beziehungen sein. Noch kein europäischer Aussenminister, aber doch Repräsentant der gemeinsamen europäischen Interessen in der Weltpolitik. Mit seiner grossen Erfahrung und seiner herausragenden Persönlichkeit wird er die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik Europas sichtbarer, effizienter und kohärenter machen. Anlässlich seines Amtsantritts haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac gemeinsam an ihre Amtskollegen in der EU appelliert, Javier Solana ihre uneingeschränkte Unterstützung und Rückendeckung für die Ausübung seines wichtigen Amtes zuzusichern. Dieser deutsch-französichen Bitte haben die Staats- und Regierungschefs der 15 anlässlich des Europäischen Rats in Tampere Mitte Oktober entsprochen. Ich bin deshalb zuversichlich, dass mit dem „Monsieur PESC" eine neue Phase europäischer Aussenpolitik beginnt. Javier Solana wird ausserdem eine treibende Kraft für die weitere Entwicklung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein.

Forum: Wo ist die deutsch-französische Motorrolle bei der Entwicklung einer europäischen Verteidigung?

P. Hartmann: Deutschland und Frankreich gehören zu den „Vordenkern" der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Mit unserer bilateralen Zusammenarbeit im militärischen Bereich haben wir immer wieder Beispiele für die künftige verteidigungspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene gegeben. Seit rund zwölf Jahren stimmen wir uns im deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat in allen wesentlichen Fragen ab. Die deutsch-französische Brigade feiert in diesem Jahr ihr 10-jähriges Bestehen. Und mit dem deutsch-französischen Korps, das inzwischen zum Eurokorps geworden ist, haben wir den Nukleus für eine künftige eigenständige militärische Handlungsfähigkeit der Europäer geschaffen.

Der Kosovo-Krieg hat uns allen vor Augen geführt, dass Europa eigene Fähigkeiten zum militärischen Krisenmanagement braucht. Mit den wegweisenden Beschlüssen des französisch-britischen Gipfels von Saint Malo hat sich auch Grossbritannien dieser Einschätzung angeschlossen. Wir wollen gemeinsam die Fähigkeit Europas zu eigenständigem militärischem Krisenmanagement entwickeln - nicht in Konkurrenz zur Nordatlantischen Allianz, sondern innerhalb des Bündnisses.

Zentrale Voraussetzungen dafür ist eine wettbewerbsfähige und leistungsstarke europäische Rüstungsindustrie. Die am 14. Oktober 1999 in Strassburg in Anwesenheit von Bundeskanzler Schröder und Premierminister Jospin vorgestellte Fusion der deutschen DASA und der französischen Aérospatial-Matra ist ein wegweisender Durchbruch in diese Richtung. Das neue Unternehmen - European Aeronautic, Defense and Space Company (EADS) - wird mit 89.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 21 Mrd. Euro zum drittgrössten Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt werden. Sie ist aber auch ein wichtiges politisches Signal, denn sie zeigt die Entschlossenheit der Europäer, sich nach Binnenmarkt und Euro, nach Airbus und Ariane auch in der Verteidigungsindustrie enger zusammenzuschliessen. Dieses bedeutsame Kooperationsvorhaben widerlegt auch diejenigen, die immer wieder behaupten, es gehe nicht so recht voran im deutsch-französischen Verhältnis.



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