Deutsch-französisches
Forum: Wird das couple franco-allemand auch im künftigen, größer
werdenden Europa noch der Motor der Integration sein?
Peter Hartmann: Nach 50 Jahren Aussöhnung und Freundschaft
sind Deutschland und Frankreich heute auf einer völlig neuen Ebene
der Beziehungen angekommen. Mit keinem anderen Partner stimmen wir
uns in praktisch allen Bereichen, die politisch von Belang sind,
so eng ab. Zwei Gipfelbegegnungen pro Jahr, regelmässige Konsultationen
und Seminare der Aussenminister, viele bilaterale Fachministerräte
- keine Woche vergeht, in der nicht deutsch-französische Begegnungen
auf dem Programm stehen, von den zahlreichen Treffen im europäischen
Rahmen ganz zu schweigen. Diese privilegierte Partnerschaft bleibt
auch für die Zukunft unerlässlich.
Die deutsch-französischen Beziehungen sind in keiner Weise exklusiv.
Natürlich ist es unser Interesse, mit allen europäischen Partnern
enge und vertrauensvolle Beziehungen zu pflegen. Wir können mit
Genugtuung feststellen, dass dies heute der Fall ist. Die deutsch-französisch-polnische
Zusammenarbeit im Rahmen des Weimarer Dreiecks ist hierfür ein besonders
eindrucksvolles Beispiel. Und auch der gemeinsame Appell von Bundeskanzler
Schröder, Staatspräsident Chirac und Premierminister Blair an den
amerikanischen Senat zur Ratifizierung des CTBT zeigt, dass wir
unsere besonders engen Beziehungen gerne mit weiteren Partnern teilen.
Weiteres Beispiel dafür ist die gemeinsame Initiative der Innenminister
Deutschlands, Frankreichs und Grossbritanniens vor dem Europäischen
Sonderrat in Tampere im Oktober letzten Jahres. Mit unseren Vorschlägen
für ein gemeinsames europäisches Asylsystem, für einen europäischen
Rechtsraum und zur Verbrechensbekämpfung auf europäischer Ebene
haben wir den Beschlüssen der 15 Staats- und Regierungschefs wichtige
Impulse gegeben.
Aber richtig ist auch: mit uns und Frankreich wird es auch im grösser
werdenden Europa immer etwas besonderes bleiben. Wie der Bundeskanzler
in seiner Berliner Rede gesagt hat: „Fankreich und Deutschland bleiben
auch in Zukunft die Schwungräder der europäischen Einigung. Die
deutsch-französische Freundschaft ist eine Herzensangelegenheit".
Sie ist zugleich ein Gebot der politischen Vernunft. Sie ergibt
sich aus der nüchternen Feststellung, dass Deutschland und Frankreich
im jeweils eigenen Interesse aufeinander angewiesen sind, dass die
europäische Einigung mit der Verständigung zwischen Deutschen und
Franzosen steht und fällt.
Ich denke, das deutsch-französische Paar kann heute damit leben,
dass der grosse Gefühlsrausch, gewissermassen die Flitterwochen,
vorüber sind. Wir sind inzwischen eine Vernunftehe eingegangen,
eine Verbindung, die haltbar ist und nicht zuletzt getragen wird
von der gemeinsamen Verantwortung für Europa.
Das Erfolgsgeheimnis des deutsch-französischen Motors liegt vielleicht
gerade in der Verschiedenheit unserer Interessen, Traditionen und
Denkweisen. Wir hatten Erfolg, weil wir diese unterschiedlichen
Interessen und Überzeugungen im Kompromisswege immer wieder zu einem
gemeinsamen Willen und Handeln verbinden konnten.
Die Erweiterung der Europäischen Union macht die deutsch-französische
Partnerschaft heute noch wichtiger als früher: Eine EU mit 25 und
mehr Mitgliedstaaten wird nur dann wirklich zusammenwachsen, wenn
Deutschland und Frankreich als inneres Scharnier und Integrationsmotor
wirken. Als Grundlage dafür brauchen wir eine starke Vertrauensbasis,
wie wir sie heute haben und die es zu erhalten und auszubauen gilt.
Dies bleibt auch in Zukunft eine ständige Herausforderung an Politiker
und Diplomaten beider Seiten. Ebenso wesentlich bleibt, dass sich
Bürger auf beiden Seiten des Rheins weiterhin für die deutsch-französische
Sache engagieren. Das gilt für die Regional- und Städtepartnerschaften,
den Kulturaustausch und nicht zuletzt für die Begegnung zwischen
Millionen junger Deutscher und Franzosen. Hier gilt es heute anzusetzen.
Es geht vor allem darum, den Dialog der Zivilgesellschaften auszuweiten,
den Erwerb von Sprachkenntnissen des Partners zu fördern und leider
immer noch vorhandene Klischees abzubauen.
Forum: Europa - das ist für viele noch immer ein wirtschaftlicher
Riese, aber ein politischer Zwerg. Was können Deutschland und Frankreich
gemeinsam tun, um die politische Rolle Europas in der Welt zu stärken?
P. Hartmann: Mit der gemeinsamen Währung haben wir gewissermassen
den Rubikon überschritten. Europa ist zu einer Schicksalsgemeinschaft
geworden. Europa muss sich jetzt auch stärker als bisher als politische
Union verstehen. Dies gilt vor allem für die Aussenpolitik, wo wir
unser Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen müssen, um unseren
Werten und Interessen Geltung zu verschaffen.
Ein Beispiel dafür, wie dies gelingen kann, ist die Kosovo-Krise.
Ohne Übertreibung können wir heute sagen, dass Europa in dieser
Krise aussenpolitisch an Statur gewonnen hat. Insbesondere Deutschland
und Frankreich haben eine nahtlose Übereinstimmung bewiesen. Keine
Selbstverständlichkeit, wenn man an unsere unterschiedlichen Positionen
am Beginn des Auseinanderbrechens Jugoslawiens denkt. Das Kontaktgruppen-Treffen
in Rambouillet, der 5-Punkte-Plan Aussenminister Fischers und nicht
zuletzt der Stabilitätspakt für den Balkan sind Beweis für europäische
Handlungsfähigkeit bei der Bewältigung einer der schwersten Krisen
auf unserem Kontinent seit 1945. Deutschland und Frankreich haben
gemeinsam an einem Strang gezogen und der europäischen Haltung wesentliche
Impulse gegeben. Schliesslich wollen wir die auch symbolisch bedeutsame
Tatsache würdigen, dass heute deutsche und französische Soldaten
Seite an Seite den Frieden in der Region sichern.
Forum: Was versprechen Sie sich von der Ernennung Javier Solanas
zum Monsieur PESC der Europäischen Union?
P. Hartmann: Javier Solana wird künftig die Stimme Europas
in den internationalen Beziehungen sein. Noch kein europäischer
Aussenminister, aber doch Repräsentant der gemeinsamen europäischen
Interessen in der Weltpolitik. Mit seiner grossen Erfahrung und
seiner herausragenden Persönlichkeit wird er die gemeinsame Aussen-
und Sicherheitspolitik Europas sichtbarer, effizienter und kohärenter
machen. Anlässlich seines Amtsantritts haben Bundeskanzler Gerhard
Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac gemeinsam an ihre Amtskollegen
in der EU appelliert, Javier Solana ihre uneingeschränkte Unterstützung
und Rückendeckung für die Ausübung seines wichtigen Amtes zuzusichern.
Dieser deutsch-französichen Bitte haben die Staats- und Regierungschefs
der 15 anlässlich des Europäischen Rats in Tampere Mitte Oktober
entsprochen. Ich bin deshalb zuversichlich, dass mit dem „Monsieur
PESC" eine neue Phase europäischer Aussenpolitik beginnt. Javier
Solana wird ausserdem eine treibende Kraft für die weitere Entwicklung
der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein.
Forum: Wo ist die deutsch-französische Motorrolle bei der Entwicklung
einer europäischen Verteidigung?
P. Hartmann: Deutschland und Frankreich gehören zu den „Vordenkern"
der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Mit unserer
bilateralen Zusammenarbeit im militärischen Bereich haben wir immer
wieder Beispiele für die künftige verteidigungspolitische Zusammenarbeit
auf europäischer Ebene gegeben. Seit rund zwölf Jahren stimmen wir
uns im deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat in
allen wesentlichen Fragen ab. Die deutsch-französische Brigade feiert
in diesem Jahr ihr 10-jähriges Bestehen. Und mit dem deutsch-französischen
Korps, das inzwischen zum Eurokorps geworden ist, haben wir den
Nukleus für eine künftige eigenständige militärische Handlungsfähigkeit
der Europäer geschaffen.
Der Kosovo-Krieg hat uns allen vor Augen geführt, dass Europa eigene
Fähigkeiten zum militärischen Krisenmanagement braucht. Mit den
wegweisenden Beschlüssen des französisch-britischen Gipfels von
Saint Malo hat sich auch Grossbritannien dieser Einschätzung angeschlossen.
Wir wollen gemeinsam die Fähigkeit Europas zu eigenständigem militärischem
Krisenmanagement entwickeln - nicht in Konkurrenz zur Nordatlantischen
Allianz, sondern innerhalb des Bündnisses.
Zentrale Voraussetzungen dafür ist eine wettbewerbsfähige und leistungsstarke
europäische Rüstungsindustrie. Die am 14. Oktober 1999 in Strassburg
in Anwesenheit von Bundeskanzler Schröder und Premierminister Jospin
vorgestellte Fusion der deutschen DASA und der französischen Aérospatial-Matra
ist ein wegweisender Durchbruch in diese Richtung. Das neue Unternehmen
- European Aeronautic, Defense and Space Company (EADS) - wird mit
89.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 21 Mrd. Euro zum drittgrössten
Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt werden. Sie ist aber auch
ein wichtiges politisches Signal, denn sie zeigt die Entschlossenheit
der Europäer, sich nach Binnenmarkt und Euro, nach Airbus und Ariane
auch in der Verteidigungsindustrie enger zusammenzuschliessen. Dieses
bedeutsame Kooperationsvorhaben widerlegt auch diejenigen, die immer
wieder behaupten, es gehe nicht so recht voran im deutsch-französischen
Verhältnis.
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