Die Richtlinie
über die Investitionsdienstleistungen aus dem Jahre 1993 und
die Einführung des Euro im Jahre 1999 haben eine wahre Revolution
für die Unternehmen zur Folge, welche die Börsengeschäfte
abwickeln. Die nationalen Monopole sind abgeschafft worden, und
die Einheitswährung hat die Börsen dazu veranlasst, in
eine erste Konsolidierungsphase zu treten, die im Juli 1998 zuerst
durch ein Übereinkommen zwischen London und Frankfurt eingeleitet
und sodann durch die von acht Börsenplätzen - Amsterdam,
Brüssel, Frankfurt, London, Madrid, Mailand, Paris, Zürich
- beschlossene europäische Allianz zur Begründung eines
einheitlichen Marktmodells fortgesetzt wurde.
Diese erste
Phase ist unterdessen zu einem Abschluss gekommen. Die europäische
Allianz hat ein Ergebnis erzielt, das sich durchaus sehen lassen
kann: die Übernahme eines den acht Börsenplätzen
gemeinsamen Marktmodells, eines elektronischen, ordergesteuerten
Handelsplatzes mit einem zentralen Orderbuch und abgestimmten Geschäftszeiten.
Seit Anfang
des Jahres 2000 hat sich der Konsolidierungsprozess beschleunigt:
Paris, Amsterdam und Brüssel haben beschlossen, am 22. September
2000 zu Euronext nv zu fusionieren, dem größten Börsenplatz
der Eurozone. London und Frankfurt haben ihrerseits ein Fusionsprojekt
unter dem Namen iX angekündigt, und auch die Schweizer Börse
und Tradepoint wollten demgegenüber mit VirtX nicht zurückstehen.
Schließlich hat auch die schwedische Börse OM einen feindlichen
Übernahmeversuch auf die Londoner Börse angestrengt.
Von diesen
Projekten sind zwei gescheitert, nämlich iX und der Übernahmeversuch
durch OM, das dritte Projekt - VirtX - ist noch nicht abgeschlossen,
so dass gegenwärtig nur Euronext verwirklicht wurde: eine einheitliche
Gesellschaft, deren Fusion von den Aktionären der drei Börsen
einstimmig bestätigt wurde, die nunmehr Anteilseigner von Euronext
sind.
Euronext ist
der größte Handelsplatz der Eurozone mit 1.800 börsennotierten
Gesellschaften, einem Kapitalwert von 2.500 Millarden Euro und einem
Geschäftsvolumen, das über dem von London oder Frankfurt
liegt. Euronext entspricht 51% der Kapitalwerte der Eurozone mit
Gesellschaften weltwirtschaftlichen Formats wie Royal Dutch Shell,
Philips, France Telecom oder Vivendi Universal.
Euronext wurde
als ein vollständig integriertes Marktunternehmen konzipiert,
das von Handelsgeschäften über Clearing bis hin zur Basiswertlieferung
alles umfasst. Die technische Integration wird im Laufe des Jahres
2001 durchgeführt werden, vor allem auch durch die Einrichtung
eines NSC-gestützten, elektronischen Handelssystem im ersten
Halbjahr, das in Paris entwickelt wurde und mit 20 Börsenplätzen
weltweit am meisten genutzt wird, und im Anschluss daran durch die
Einrichtung des Clearingsystems C21 und die Fusion der belgischen
und niederländischen Börsenabwicklungsorganismen zu Euroclear.
Die französische Institution SICOVAM hatte sich ja schon im
Januar zu Euroclear France umgewandelt.
Euronext hat
ebenfalls für eine durchsichtige Statutenklärung gesorgt.
Angesichts eines fehlenden paneuropäischen Börsen- und
Gesellschaftsstatus und eines europäischen Regulationszentrums
entsprach es einer pragmatischen und rationellen Lösung, dass
die börsennotierten Gesellschaften auch in Zukunft unter nationales
Recht fallen, dass die Marktregeln aber weitestgehend harmonisiert
werden. Das hat Euronext nunmehr mit drei Access points zur Börsennotierung
für die Unternehmen in Paris, Brüssel und Amsterdam in
die Tat umgesetzt, die darüber hinaus allerdings einem einheitlichen
Sekundärmarkt und gemeinsamen Regeln unterliegen.
Wir haben Euronext
ins Leben gerufen, weil nach der Einführung des Euro, durch
den das Wechselrisiko verschwunden ist und der internationale Sektorenvergleich
erleichtert wurde, die börsennotierten Unternehmen einerseits
nach einer europäischen Anlageform verlangten und die Investoren
bzw. die intermediären Finanzorganismen andererseits mehr börsennotierte
Unternehmen forderten.
Wir verfolgen
damit ein doppeltes Ziel: Die Unternehmen können sich so über
die Finanzmärkte und die Wertpapieremissionen eine kostengünstigere
Finanzierungsgrundlage als Alternative zu den Bankkrediten und den
Sicherheitsforderungen bei Internet-Unternehmen erschließen.
Das bedeutet unser Slogan: "Go for growth". Darüber hinaus
kommen die internationalen Anleger in den Genuss eines transparent
gestalteten Marktes mit einer breiteren Produktpalette. Euronext
hat sich das Ziel gesteckt, für seine ganzjährigen Mitglieder
mittels einer vollständigen technischen Integration und eines
einzigen Systems - an Stelle von drei - in Bezug auf den gesamten
Börsenprozess Einsparungen in Höhe von 50 Millionen Euro
zu erzielen.
Euronext ist
ein Unternehmen, das für all jene offen steht, die diese Grundausrichtung
teilen. Deswegen hat auch die kleine, aber dynamische Börse
von Lissabon den Wunsch geäußert, sich an Euronext zu
beteiligen, und deshalb möchte auch die Luxemburger Börse
mit Euronext ein wechselseitig gültiges Zugangsabkommen abschließen.
Dadurch erhalten die Luxemburger Mitglieder Zugang zu den Produkten
von Euronext und umgekehrt. Diese beiden Beispiele belegen die Flexibilität
des von den Gründungsväter von Euronext beschlossenen
Modells. Euronext steht allerdings auch anderen Formen der Zusammenarbeit
offen gegenüber und ist auch nicht auf Europa begrenzt. So
arbeiten wir mit der New York Stock Exchange und anderen großen
Märkten (Tokyo, Sydney etc.) an dem Projekt zu einem weltumspanenden
elektronischen Orderbuch, dem Global Equity Market, wodurch abhängig
von den jeweiligen Zeitzonen der Zugang zu den größten
börsennotierten Unternehmen der ganzen Welt ermöglicht
würde.
Doch gilt unmissverständlich:
Die Konsolidierung der europäischen Börsenmärkte
genießt auch weiterhin Priorität. Die europäischen
Börsen sind dynamische, technologisch fortgeschrittene und
wettbewerbserfahrene Unternehmen. Ihre Schwäche besteht darin,
dass sie nur auf ihrem jeweiligen Heimatmarkt eine marktbeherrschende
Stellung innehaben. Konkurrenz erwächst ihnen also möglicherweise
seitens der Börsenrivalen, die ähnliche Anlageprodukte
ausgeben wollen oder seitens elektronischer Neulinge, die sich in
einem bestimmten Bereich spezialisieren.
Der Umstrukturierungsprozess
der europäischen Börsenlandschaft steckt noch in seinen
Anfängen, wie es auch in anderen Sektoren wie z.B. dem Telekommunikationsmarkt
bzw. auf dem Gebiet der Rüstungsindustrie der Fall ist. Niemand
kann absehen, wie diese Landschaft in Zukunft gestaltet sein wird,
doch gibt es Anlass zu der Vermutung, dass der von der Europäischen
Kommission und den dynamischen Akteuren (Euronext, VirtX, LSE, Norex,
DBAG etc.) gewünschte Wettbewerb kein monopolistisches Einheitssystem
hervorbringen wird, sondern mehrere, nebeneinander bestehende Liquiditätspole,
wie es auch schon in den Vereinigten Staaten zu beobachten ist,
wo NASDAQ und NYSE zum Besten der amerikanischen Kapitalmärkte
miteinander konkurrieren. Nur eines ist gewiss: Euronext wird ein
Hauptakteur dieses Prozesses sein, aus dem Europa als Gewinner hervorgehen
soll und an dessen Ende unser Kontinent über einen geeinten
und dynamischen Finanzmarkt verfügen wird, der dem amerikanischen
in nichts nachsteht.
Übersetzung
Forum (MT)
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