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• Euronext und die neuen Herausforderungen der europäischen
Börsenlandschaft
Euronext ist aus der Fusion des französischen mit dem holländischen und belgischen Markt entstanden und bildet den größten europäischen Börsenplatz. Es ist der erste und bisher einzige erfolgreiche Schritt auf dem Weg zu einer Börsenkonsolidierung in Europa. © 2001
Michel ROBIN - Vorstandsvorsitzender von SIEMENS FRANCE


Die Richtlinie über die Investitionsdienstleistungen aus dem Jahre 1993 und die Einführung des Euro im Jahre 1999 haben eine wahre Revolution für die Unternehmen zur Folge, welche die Börsengeschäfte abwickeln. Die nationalen Monopole sind abgeschafft worden, und die Einheitswährung hat die Börsen dazu veranlasst, in eine erste Konsolidierungsphase zu treten, die im Juli 1998 zuerst durch ein Übereinkommen zwischen London und Frankfurt eingeleitet und sodann durch die von acht Börsenplätzen - Amsterdam, Brüssel, Frankfurt, London, Madrid, Mailand, Paris, Zürich - beschlossene europäische Allianz zur Begründung eines einheitlichen Marktmodells fortgesetzt wurde.

Diese erste Phase ist unterdessen zu einem Abschluss gekommen. Die europäische Allianz hat ein Ergebnis erzielt, das sich durchaus sehen lassen kann: die Übernahme eines den acht Börsenplätzen gemeinsamen Marktmodells, eines elektronischen, ordergesteuerten Handelsplatzes mit einem zentralen Orderbuch und abgestimmten Geschäftszeiten.

Seit Anfang des Jahres 2000 hat sich der Konsolidierungsprozess beschleunigt: Paris, Amsterdam und Brüssel haben beschlossen, am 22. September 2000 zu Euronext nv zu fusionieren, dem größten Börsenplatz der Eurozone. London und Frankfurt haben ihrerseits ein Fusionsprojekt unter dem Namen iX angekündigt, und auch die Schweizer Börse und Tradepoint wollten demgegenüber mit VirtX nicht zurückstehen. Schließlich hat auch die schwedische Börse OM einen feindlichen Übernahmeversuch auf die Londoner Börse angestrengt.

Von diesen Projekten sind zwei gescheitert, nämlich iX und der Übernahmeversuch durch OM, das dritte Projekt - VirtX - ist noch nicht abgeschlossen, so dass gegenwärtig nur Euronext verwirklicht wurde: eine einheitliche Gesellschaft, deren Fusion von den Aktionären der drei Börsen einstimmig bestätigt wurde, die nunmehr Anteilseigner von Euronext sind.

Euronext ist der größte Handelsplatz der Eurozone mit 1.800 börsennotierten Gesellschaften, einem Kapitalwert von 2.500 Millarden Euro und einem Geschäftsvolumen, das über dem von London oder Frankfurt liegt. Euronext entspricht 51% der Kapitalwerte der Eurozone mit Gesellschaften weltwirtschaftlichen Formats wie Royal Dutch Shell, Philips, France Telecom oder Vivendi Universal.

Euronext wurde als ein vollständig integriertes Marktunternehmen konzipiert, das von Handelsgeschäften über Clearing bis hin zur Basiswertlieferung alles umfasst. Die technische Integration wird im Laufe des Jahres 2001 durchgeführt werden, vor allem auch durch die Einrichtung eines NSC-gestützten, elektronischen Handelssystem im ersten Halbjahr, das in Paris entwickelt wurde und mit 20 Börsenplätzen weltweit am meisten genutzt wird, und im Anschluss daran durch die Einrichtung des Clearingsystems C21 und die Fusion der belgischen und niederländischen Börsenabwicklungsorganismen zu Euroclear. Die französische Institution SICOVAM hatte sich ja schon im Januar zu Euroclear France umgewandelt.

Euronext hat ebenfalls für eine durchsichtige Statutenklärung gesorgt. Angesichts eines fehlenden paneuropäischen Börsen- und Gesellschaftsstatus und eines europäischen Regulationszentrums entsprach es einer pragmatischen und rationellen Lösung, dass die börsennotierten Gesellschaften auch in Zukunft unter nationales Recht fallen, dass die Marktregeln aber weitestgehend harmonisiert werden. Das hat Euronext nunmehr mit drei Access points zur Börsennotierung für die Unternehmen in Paris, Brüssel und Amsterdam in die Tat umgesetzt, die darüber hinaus allerdings einem einheitlichen Sekundärmarkt und gemeinsamen Regeln unterliegen.

Wir haben Euronext ins Leben gerufen, weil nach der Einführung des Euro, durch den das Wechselrisiko verschwunden ist und der internationale Sektorenvergleich erleichtert wurde, die börsennotierten Unternehmen einerseits nach einer europäischen Anlageform verlangten und die Investoren bzw. die intermediären Finanzorganismen andererseits mehr börsennotierte Unternehmen forderten.

Wir verfolgen damit ein doppeltes Ziel: Die Unternehmen können sich so über die Finanzmärkte und die Wertpapieremissionen eine kostengünstigere Finanzierungsgrundlage als Alternative zu den Bankkrediten und den Sicherheitsforderungen bei Internet-Unternehmen erschließen. Das bedeutet unser Slogan: "Go for growth". Darüber hinaus kommen die internationalen Anleger in den Genuss eines transparent gestalteten Marktes mit einer breiteren Produktpalette. Euronext hat sich das Ziel gesteckt, für seine ganzjährigen Mitglieder mittels einer vollständigen technischen Integration und eines einzigen Systems - an Stelle von drei - in Bezug auf den gesamten Börsenprozess Einsparungen in Höhe von 50 Millionen Euro zu erzielen.

Euronext ist ein Unternehmen, das für all jene offen steht, die diese Grundausrichtung teilen. Deswegen hat auch die kleine, aber dynamische Börse von Lissabon den Wunsch geäußert, sich an Euronext zu beteiligen, und deshalb möchte auch die Luxemburger Börse mit Euronext ein wechselseitig gültiges Zugangsabkommen abschließen. Dadurch erhalten die Luxemburger Mitglieder Zugang zu den Produkten von Euronext und umgekehrt. Diese beiden Beispiele belegen die Flexibilität des von den Gründungsväter von Euronext beschlossenen Modells. Euronext steht allerdings auch anderen Formen der Zusammenarbeit offen gegenüber und ist auch nicht auf Europa begrenzt. So arbeiten wir mit der New York Stock Exchange und anderen großen Märkten (Tokyo, Sydney etc.) an dem Projekt zu einem weltumspanenden elektronischen Orderbuch, dem Global Equity Market, wodurch abhängig von den jeweiligen Zeitzonen der Zugang zu den größten börsennotierten Unternehmen der ganzen Welt ermöglicht würde.

Doch gilt unmissverständlich: Die Konsolidierung der europäischen Börsenmärkte genießt auch weiterhin Priorität. Die europäischen Börsen sind dynamische, technologisch fortgeschrittene und wettbewerbserfahrene Unternehmen. Ihre Schwäche besteht darin, dass sie nur auf ihrem jeweiligen Heimatmarkt eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Konkurrenz erwächst ihnen also möglicherweise seitens der Börsenrivalen, die ähnliche Anlageprodukte ausgeben wollen oder seitens elektronischer Neulinge, die sich in einem bestimmten Bereich spezialisieren.

Der Umstrukturierungsprozess der europäischen Börsenlandschaft steckt noch in seinen Anfängen, wie es auch in anderen Sektoren wie z.B. dem Telekommunikationsmarkt bzw. auf dem Gebiet der Rüstungsindustrie der Fall ist. Niemand kann absehen, wie diese Landschaft in Zukunft gestaltet sein wird, doch gibt es Anlass zu der Vermutung, dass der von der Europäischen Kommission und den dynamischen Akteuren (Euronext, VirtX, LSE, Norex, DBAG etc.) gewünschte Wettbewerb kein monopolistisches Einheitssystem hervorbringen wird, sondern mehrere, nebeneinander bestehende Liquiditätspole, wie es auch schon in den Vereinigten Staaten zu beobachten ist, wo NASDAQ und NYSE zum Besten der amerikanischen Kapitalmärkte miteinander konkurrieren. Nur eines ist gewiss: Euronext wird ein Hauptakteur dieses Prozesses sein, aus dem Europa als Gewinner hervorgehen soll und an dessen Ende unser Kontinent über einen geeinten und dynamischen Finanzmarkt verfügen wird, der dem amerikanischen in nichts nachsteht.

Übersetzung Forum (MT)



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