Im Zuge der
digitalen Revolution stehen europäische Unternehmen vor der
Frage, wie sie führende Marktpositionen aufbauen, schneller
agieren, und die eigene Kraft zur weltweiten Expansion nutzen können.
Die Politik sollte die Frage beantworten, wie sie diese Ziele im
Sinne von Wachstum und Beschäftigung unterstützen kann.
In den USA hat man auf diese Fragen seit längerem Antworten
gefunden und in Handeln übersetzt. Die radikale Zukunftsorientierung
von Politik, Unternehmen, Märkten und Börsen ist der eigentliche
Grund dafür, warum Amerika seit Jahren das Benchmark für
Wachstum, Innovation, Abbau von Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit
ist.
Die Zahl der
Internet-Firmen hat demnach in den USA seit 1996 um ein Drittel
zugenommen. Alleine in den jungen rund 1.100 Start-ups sind in den
vergangenen drei Jahren über 300.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze
entstanden. Insgesamt sind 2,5 Millionen Menschen in den USA heute
in der Internet-Industrie beschäftigt; das Beschäftigungswachstum
in diesem Bereich lag 1999 bei knapp 36 Prozent. Das durchschnittliche
Umsatzwachstum der Internet-Unternehmen lag zwischen 1998 und 1999
sogar bei rund 62 Prozent. Im Jahr 2000 wird die Internet-Industrie
rund 850 Mrd. Dollar umsetzen.
Europa steht
im Vergleich immer noch schlecht da. Während in den USA bereits
9 % der Arbeitsplätze durch die New Economy geschaffen wurden,
sind es in Europa erst 3 %. Im Jahr 2002 werden 5,8 Mio. Amerikaner
ihren Arbeitsplatz in der Internet-Industrie haben. In Europa werden
es dagegen nur 3 Mio. sein.
Europa muss
seine zögerliche Haltung gegenüber dem Internet aufgeben
In Europa fragen
viele derweil immer noch, ob das Internet wirklich ein Markt ist
und ob die aktuellen Börsenprobleme nicht zeigen, dass die
Blase geplatzt ist. Ich will es in ein plastisches Bild bringen,
um die Relevanz dieses Themas für die europäische Wirtschaft
und Politik deutlich zu machen: AOL Inc. hätte an Stelle von
Time Warner genau so gut Siemens oder Peugot kaufen können.
In der Medienbranche ist mit Konvergenz, Fragmentierung und Globalisierung
ein Quantensprung erfolgt, den wir in Europa erst noch verstehen
müssen: Es geht um gewaltige Umwälzungen in allen Teilen
der Wirtschaft, die darüber entscheiden, ob die europäischen
Unternehmen auf Dauer im globalen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben
oder nicht.
Grosse Teile
unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit
bauen auf Errungenschaften früherer Zeiten auf. Die High-Tech-Entwicklungen
der Zukunft werden mehrheitlich nicht mehr in europäischen,
sondern in amerikanischen Forschungslabors erarbeitet.
Globaler,
schneller, digitaler
drei Hausaufgaben
für Europa
Europa muss
dringend Hausaufgaben machen, um den Rückstand wieder wettzumachen.
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik müssen globaler, schneller
und digitaler werden.
- Europa muss
global denken und handeln
Wer global
zu agieren verwechselt mit global zu exportieren, unterliegt einem
fundamentalen Missverständnis. Standorte sind virtuell, vor
allem in der Internet-Industrie. Unternehmer haben die Pflicht,
regionale Besitzstände unter unternehmensstrategischen Gesichtspunkten
ebenso kritisch in Frage zu stellen wie andere gewachsene Strukturen.
Global zu agieren
ist für Wirtschaft und Politik gerade in der Internet-Ökonomie
angezeigt. Denn Zoll-, Rechts- und Steuerfragen können in einem
von Natur aus globalen Medium nicht mehr einzelstaatlich geregelt
werden. Rund 200 Unternehmen aus aller Welt, die im E-Commerce ein
Geschäftsfeld sehen, haben aus diesem Grund im September 1999
Empfehlungen zur internationalen Lösung offener Fragen im Rahmen
einer Konferenz in Paris den Vertretern nationaler Regierungen und
internationaler Organisationen vorgelegt. Der sogenannte Global
Business Dialog on Electronic Commerce hat die Vorschläge in
diesem Jahr weiter konkretisiert. Parallel dazu ist es jedoch erforderlich,
dass auch die Politik einen Dialog aufsetzt und sich dieses Themas
auf globaler Ebene ernsthaft annimmt.
- Europa muss
schneller werden
Move
first" ist ein Gebot der Internet-Ökonomie. Sich empören
oder abwarten, welche Herausforderungen durch Globalisierung und
Digitalisierung auf Unternehmen und Gesellschaft zukommen, ist keine
Option für die Gestaltung der Zukunft. Es ist höchste
Zeit zu handeln, selbst wenn wir uns von manchem Liebgewonnenen
verabschieden müssen. In der Medienindustrie zum Beispiel sprechen
wir von dem Prozess der Teilkannibalisierung traditioneller Mediengeschäfte
durch die neuen Medien. Der Absatz von Tonträgern ist gefährdet,
wenn Musiktitel und alben zunehmend als kostenfreie downloads
über das Internet vertrieben werden. Der Buchhandel muss neue
Marketingstrategien entwickeln, wenn wie Jupiter Communications
prognostiziert im Jahr 2002 rund 7 Prozent des stationären
Buchhandels durch den Internet-Buchvertrieb ersetzt werden. Zeitungs-
und Zeitschriftenverlage müssen nach Lösungen suchen,
weil Anzeigen und vor allem Kleinanzeigen ins Netz wandern. Und
das Fernsehen muss Konzepte entwickeln, wenn wie in den USA
der Fall am Abend mehr Menschen bei AOL surfen als die Hauptnachrichten
gucken.
Die Reaktion
auf diese Entwicklungen darf nicht von Verteidigung, sondern muss
von Offensive gekennzeichnet sein; je schneller desto besser. Alle
Geschäftsmodelle und Denkschulen müssen auf den Prüfstand.
Analog zu den Unternehmen gilt das für die Politik. Veränderungen
und Reformen erfolgen zu langsam und zu zögerlich; immer mit
der Furcht, etwas zu verlieren, statt mit der Erwartung, etwas Neues
und Besseres zu gewinnen. Die USA haben vorgemacht, dass es auch
anders geht mit Erfolg.
- Europa muss
digital werden
Natürlich
ist das zunächst ein Schlagwort. Doch es signalisiert die Bereitschaft
zum Beispiel in den Unternehmen, E-Mail, ISDN, Intranets, Internet
und virtuelle Teamarbeit vollständig in die Geschäftsmodelle,
-prozesse und strukturen zu integrieren. Das verlangt nach
flachen Hierarchien, freiem Informationsfluss und offenem Wissenstransfer.
Notfalls muss alter Ballast dafür abgeworfen werden. Wer das
versäumt, kommt früher oder später unter die Räder.
Das gilt zum Beispiel für die Suche nach qualifiziertem Führungsnachwuchs.
Über 80 Prozent aller College-Absolventen in den USA informieren
oder bewerben sich bereits heute über das Internet. Unternehmen,
die darauf nicht eingestellt sind, fallen durch das Rechercheraster
der Nachwuchskräfte. Anders Beispiel: Bei AOL werden in Deutschland
heute mehr E-Mails verschickt als die Deutsche Post Briefe ausliefert.
Die Tourismus-Branche und die Banken sind von alternativen Online-Services
direkt betroffen und reagieren ebenfalls mit entsprechenden Strukturveränderungen
bzw. Angeboten. Anpassung tut Not, selbst auf die Gefahr hin, dass
eigene Stammgeschäfte durch die Digitalisierung Marktanteile
verlieren.
Digitalisierung
ist aber auch eine Anforderung an eine moderne Verwaltung, Politik
und Gesellschaft. Mit der digitalen Signatur wird es möglich,
fast alle behördlichen Angelegenheiten ins Netz zu verlagern:
Vom Bauantrag über die Passbestellung bis zu öffentlichen
Ausschreibungen. Bislang geschieht das nur vereinzelt und in hochgelobten
Pilotprojekten. Von der Normalität des Internets im Verwaltungshandeln
sind wir noch weit entfernt. Die Bildungssysteme brauchen Innovationen,
um wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können. Der Einsatz
des Internet sowie moderner Informations- und Kommunikationsmedien
in Schulen und Hochschulen quer zu allen Fächern und Spezialisierungen
würde diesen Wandel beschleunigen. Der politische Wille ist
da, doch die Umsetzung erfolgt nicht schnell genug. Während
man in Deutschland noch immer bemüht ist, jeder Schule einen
Internet-Anschluss zu verschaffen, sind die USA bereits einen Schritt
weiter. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, jedes Klassenzimmer ans
Netz zu bringen. Schon heute sind in Amerika 51 Prozent aller Klassenzimmer
mit einem Internet-PC ausgestattet. 400.000 Lehrer wurden in den
vergangenen Jahren im Umgang mit dem Internet ausgebildet.
Die Amerikaner
hat von jeher ausgezeichnet, neue Regionen zu erschliessen und unbekanntes
Land zu betreten. Risiko ist in den USA kein Gegenstand intellektueller
Erörterung, sondern ein Grund, sich mutig zu erweisen. Von
den USA zu lernen heisst, neue Wege zu beschreiten, selbst wenn
wir noch nicht ganz sicher sein können, wohin sie uns führen.
|