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• Globaler, schneller, digitaler - Europa muss im internationalen
Wettbewerb besser werden
In Europa fragen viele derweil immer noch, ob das Internet wirklich ein Markt ist und ob die aktuellen Börsenprobleme nicht zeigen, dass die Blase geplatzt ist. In der Medienbranche ist mit Konvergenz, Fragmentierung und Globalisierung ein Quantensprung erfolgt, den wir in Europa erst noch verstehen müssen: Es geht um gewaltige Umwälzungen in allen Teilen der Wirtschaft, die darüber entscheiden, ob die europäischen Unternehmen auf Dauer im globalen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben oder nicht. © 2001
Dr. Thomas MIDDELHOFF - Vorstandsvorsitzender der
Bertelsmann AG


Im Zuge der digitalen Revolution stehen europäische Unternehmen vor der Frage, wie sie führende Marktpositionen aufbauen, schneller agieren, und die eigene Kraft zur weltweiten Expansion nutzen können. Die Politik sollte die Frage beantworten, wie sie diese Ziele im Sinne von Wachstum und Beschäftigung unterstützen kann. In den USA hat man auf diese Fragen seit längerem Antworten gefunden und in Handeln übersetzt. Die radikale Zukunftsorientierung von Politik, Unternehmen, Märkten und Börsen ist der eigentliche Grund dafür, warum Amerika seit Jahren das Benchmark für Wachstum, Innovation, Abbau von Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit ist.

Die Zahl der Internet-Firmen hat demnach in den USA seit 1996 um ein Drittel zugenommen. Alleine in den jungen rund 1.100 Start-ups sind in den vergangenen drei Jahren über 300.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze entstanden. Insgesamt sind 2,5 Millionen Menschen in den USA heute in der Internet-Industrie beschäftigt; das Beschäftigungswachstum in diesem Bereich lag 1999 bei knapp 36 Prozent. Das durchschnittliche Umsatzwachstum der Internet-Unternehmen lag zwischen 1998 und 1999 sogar bei rund 62 Prozent. Im Jahr 2000 wird die Internet-Industrie rund 850 Mrd. Dollar umsetzen.

Europa steht im Vergleich immer noch schlecht da. Während in den USA bereits 9 % der Arbeitsplätze durch die New Economy geschaffen wurden, sind es in Europa erst 3 %. Im Jahr 2002 werden 5,8 Mio. Amerikaner ihren Arbeitsplatz in der Internet-Industrie haben. In Europa werden es dagegen nur 3 Mio. sein.

Europa muss seine zögerliche Haltung gegenüber dem Internet aufgeben

In Europa fragen viele derweil immer noch, ob das Internet wirklich ein Markt ist und ob die aktuellen Börsenprobleme nicht zeigen, dass die Blase geplatzt ist. Ich will es in ein plastisches Bild bringen, um die Relevanz dieses Themas für die europäische Wirtschaft und Politik deutlich zu machen: AOL Inc. hätte an Stelle von Time Warner genau so gut Siemens oder Peugot kaufen können. In der Medienbranche ist mit Konvergenz, Fragmentierung und Globalisierung ein Quantensprung erfolgt, den wir in Europa erst noch verstehen müssen: Es geht um gewaltige Umwälzungen in allen Teilen der Wirtschaft, die darüber entscheiden, ob die europäischen Unternehmen auf Dauer im globalen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben oder nicht.

Grosse Teile unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit bauen auf Errungenschaften früherer Zeiten auf. Die High-Tech-Entwicklungen der Zukunft werden mehrheitlich nicht mehr in europäischen, sondern in amerikanischen Forschungslabors erarbeitet.

Globaler, schneller, digitaler

drei Hausaufgaben für Europa

Europa muss dringend Hausaufgaben machen, um den Rückstand wieder wettzumachen. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik müssen globaler, schneller und digitaler werden.

- Europa muss global denken und handeln

Wer global zu agieren verwechselt mit global zu exportieren, unterliegt einem fundamentalen Missverständnis. Standorte sind virtuell, vor allem in der Internet-Industrie. Unternehmer haben die Pflicht, regionale Besitzstände unter unternehmensstrategischen Gesichtspunkten ebenso kritisch in Frage zu stellen wie andere gewachsene Strukturen.

Global zu agieren ist für Wirtschaft und Politik gerade in der Internet-Ökonomie angezeigt. Denn Zoll-, Rechts- und Steuerfragen können in einem von Natur aus globalen Medium nicht mehr einzelstaatlich geregelt werden. Rund 200 Unternehmen aus aller Welt, die im E-Commerce ein Geschäftsfeld sehen, haben aus diesem Grund im September 1999 Empfehlungen zur internationalen Lösung offener Fragen im Rahmen einer Konferenz in Paris den Vertretern nationaler Regierungen und internationaler Organisationen vorgelegt. Der sogenannte Global Business Dialog on Electronic Commerce hat die Vorschläge in diesem Jahr weiter konkretisiert. Parallel dazu ist es jedoch erforderlich, dass auch die Politik einen Dialog aufsetzt und sich dieses Themas auf globaler Ebene ernsthaft annimmt.

- Europa muss schneller werden

„Move first" ist ein Gebot der Internet-Ökonomie. Sich empören oder abwarten, welche Herausforderungen durch Globalisierung und Digitalisierung auf Unternehmen und Gesellschaft zukommen, ist keine Option für die Gestaltung der Zukunft. Es ist höchste Zeit zu handeln, selbst wenn wir uns von manchem Liebgewonnenen verabschieden müssen. In der Medienindustrie zum Beispiel sprechen wir von dem Prozess der Teilkannibalisierung traditioneller Mediengeschäfte durch die neuen Medien. Der Absatz von Tonträgern ist gefährdet, wenn Musiktitel und —alben zunehmend als kostenfreie downloads über das Internet vertrieben werden. Der Buchhandel muss neue Marketingstrategien entwickeln, wenn — wie Jupiter Communications prognostiziert — im Jahr 2002 rund 7 Prozent des stationären Buchhandels durch den Internet-Buchvertrieb ersetzt werden. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage müssen nach Lösungen suchen, weil Anzeigen und vor allem Kleinanzeigen ins Netz wandern. Und das Fernsehen muss Konzepte entwickeln, wenn — wie in den USA der Fall — am Abend mehr Menschen bei AOL surfen als die Hauptnachrichten gucken.

Die Reaktion auf diese Entwicklungen darf nicht von Verteidigung, sondern muss von Offensive gekennzeichnet sein; je schneller desto besser. Alle Geschäftsmodelle und Denkschulen müssen auf den Prüfstand. Analog zu den Unternehmen gilt das für die Politik. Veränderungen und Reformen erfolgen zu langsam und zu zögerlich; immer mit der Furcht, etwas zu verlieren, statt mit der Erwartung, etwas Neues und Besseres zu gewinnen. Die USA haben vorgemacht, dass es auch anders geht — mit Erfolg.

- Europa muss digital werden

Natürlich ist das zunächst ein Schlagwort. Doch es signalisiert die Bereitschaft zum Beispiel in den Unternehmen, E-Mail, ISDN, Intranets, Internet und virtuelle Teamarbeit vollständig in die Geschäftsmodelle, -prozesse und —strukturen zu integrieren. Das verlangt nach flachen Hierarchien, freiem Informationsfluss und offenem Wissenstransfer. Notfalls muss alter Ballast dafür abgeworfen werden. Wer das versäumt, kommt früher oder später unter die Räder. Das gilt zum Beispiel für die Suche nach qualifiziertem Führungsnachwuchs. Über 80 Prozent aller College-Absolventen in den USA informieren oder bewerben sich bereits heute über das Internet. Unternehmen, die darauf nicht eingestellt sind, fallen durch das Rechercheraster der Nachwuchskräfte. Anders Beispiel: Bei AOL werden in Deutschland heute mehr E-Mails verschickt als die Deutsche Post Briefe ausliefert. Die Tourismus-Branche und die Banken sind von alternativen Online-Services direkt betroffen und reagieren ebenfalls mit entsprechenden Strukturveränderungen bzw. Angeboten. Anpassung tut Not, selbst auf die Gefahr hin, dass eigene Stammgeschäfte durch die Digitalisierung Marktanteile verlieren.

Digitalisierung ist aber auch eine Anforderung an eine moderne Verwaltung, Politik und Gesellschaft. Mit der digitalen Signatur wird es möglich, fast alle behördlichen Angelegenheiten ins Netz zu verlagern: Vom Bauantrag über die Passbestellung bis zu öffentlichen Ausschreibungen. Bislang geschieht das nur vereinzelt und in hochgelobten Pilotprojekten. Von der Normalität des Internets im Verwaltungshandeln sind wir noch weit entfernt. Die Bildungssysteme brauchen Innovationen, um wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können. Der Einsatz des Internet sowie moderner Informations- und Kommunikationsmedien in Schulen und Hochschulen quer zu allen Fächern und Spezialisierungen würde diesen Wandel beschleunigen. Der politische Wille ist da, doch die Umsetzung erfolgt nicht schnell genug. Während man in Deutschland noch immer bemüht ist, jeder Schule einen Internet-Anschluss zu verschaffen, sind die USA bereits einen Schritt weiter. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, jedes Klassenzimmer ans Netz zu bringen. Schon heute sind in Amerika 51 Prozent aller Klassenzimmer mit einem Internet-PC ausgestattet. 400.000 Lehrer wurden in den vergangenen Jahren im Umgang mit dem Internet ausgebildet.

Die Amerikaner hat von jeher ausgezeichnet, neue Regionen zu erschliessen und unbekanntes Land zu betreten. Risiko ist in den USA kein Gegenstand intellektueller Erörterung, sondern ein Grund, sich mutig zu erweisen. Von den USA zu lernen heisst, neue Wege zu beschreiten, selbst wenn wir noch nicht ganz sicher sein können, wohin sie uns führen.



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