Das Europarecht
hat eine neue eigenständige Rechtsordnung geschaffen, die neben
die bis dahin geltenden traditionellen Systeme des staatlichen und
des Völkerrechts getreten ist. In einem engeren Verständnis
seines Begriffs bezeichnet es das Recht, das für die in der
Europäischen Gemeinschaft gegenwärtig verbundenen fünfzehn
Mitgliedstaaten, die Institutionen der Gemeinschaft und die EG-Bürger
gilt.
Zu den Kennzeichen
der mit der Gründung der ersten Europäischen Gemeinschaft,
der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, vor
bald fünfzig Jahren geschaffenen europäischen Rechtsordnung
gehört deren Eigenständigkeit, deren Vorrang vor dem mitgliedstaatlichen
Recht und deren unmittelbare Wirksamkeit zugunsten und zu Lasten
des einzelnen Gemeinschaftsbürgers. Die Gemeinschaftsentwicklung
hat im Jahr 1958 zu zwei weiteren Gemeinschaften, der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft
geführt. Als supranationales Recht sollte das Europarecht dabei
nach der Idee, die seiner Errichtung zugrunde lag, eine europäische
Friedensordnung par excellence (Walter Hallstein) begründen.
Auf diese Weise sollten die kriegerischen Auseinandersetzungen,
die für diesen Kontinent unermessliches Leid hervorgerufen
hatten, durch neue Formen der politischen und wirtschaftlichen Kooperation
überwunden werden. Man wollte sich nach dem Ende des 2. Weltkrieges
nicht noch einmal auf einen der ganz grossen, aber niemals realisierten
Pläne zur Einigung Europas verlassen, sondern zunächst
eine allmähliche Verbundenheit der europäischen Völker
auf konkreten Feldern schaffen. Hierfür war die Kooperation
auf ökonomischem Gebiet auserwählt. Die Gründung
eines gemeinsamen Marktes sollte den Weg zu einer politischen Einigung
Europas ebnen. An die Stelle der traditionellen Formen völkerrechtlicher
Zusammenarbeit trat die Kooperation in neu geschaffenen eigenen
Institutionen der Gemeinschaft (insbesondere Parlament, Ministerrat,
Kommission und Gerichtshof). Inzwischen ist ein dichtes Geflecht
gemeinschaftsrechtlicher Regeln vor allem zur Ordnung des europäischen
Binnenmarktes entstanden.
Der Binnenmarkt
ist jüngst um eine Währungsunion erweitert worden. Hierfür
wie für weitere Aufgaben der Gemeinschaft etwa auf dem Gebiet
des Umweltschutzes hat das Europarecht die Basis gelegt. In Ansätzen
hat das Europarecht mittlerweile sogar zu politischer Einheitsbildung
den Weg bereitet. Sinnfälliger Ausdruck dafür ist die
Begründung einer eigenen Unionsbürgerschaft für alle
Gemeinschaftsangehörigen. Mit dieser Entwicklung einhergehend
wurde die EWG in EG (Europäische Gemeinschaft) umbenannt und
mit dem Maastrichter Vertrag als Dach aller Gemeinschaftsaktivitäten
die Europäische Union geschaffen. Heute werden bald zwei Drittel
der wirtschaftsrechtlichen Gesetzgebung durch europarechtliche Vorgaben
oder durch eigene Normen des Europarechts bestimmt. Auch über
das Wirtschaftsrecht hinaus hat das Gemeinschaftsrecht inzwischen
einen Prozess der Europäisierung des nationalen Rechts in Gang
gesetzt, der wie kaum ein anderes Element die künftige Rechtsentwicklung
prägen wird. Für die Entscheidung von Streitigkeiten auf
dem Gebiet des Europarechts besteht eine eigene 2-stufige Gerichtsbarkeit
mit dem Europäischen Gerichtshof und dem Gericht 1. Instanz
in Luxemburg. Die nationalen Gerichte sind mit dem EuGH insofern
verbunden, als sie ihn - was vielfach geschieht - im Wege der Vorabentscheidung
bei Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts anrufen können.
Veröffentlichungen
- Verfassungsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit im Zeichen Europas,
(Hrsg.), Nomos-Verlag, Baden-Baden 1998.
- Le droit administratif sous l'influence de l'Europe - Une étude
sur la convergence des ordres juridiques nationaux dans l'Union
européenne (Hrsg.), Nomos-Verlag, Baden-Baden/Emile Bruylant, Brüssel
1996 (franz. Übersetzung).
- Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß - Zur Konvergenz
der mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen in der Europäischen
Union, (Hrsg.), Nomos Verlag, Baden-Baden 1996.
- Administrative Law under European Influence - Ort the convergence
of the administrative laws of the EU Member States (Hrsg.), Nomos-Verlag,
Baden-Baden/Sweet & Maxwell, London 1996 (engl. Übersetzung).
- Droit administratif européen (franz. Übersetzung), Emile Bruylant,
Bruxelle 1994.
- Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht - Neuere Entwicklungen
im internationalen Wirtschaftsrecht, Nomos Verlag, Baden-Baden 1994.
- European Administrative Law (engl. Übersetzung), Sweet & Maxwell,
London 1992.
- Zusammen mit Werner von Simson: Europäische Integration und Grundgesetz,
Walter deGruyter, Berlin, New York 1992
- Europäisches Verwaltungsrecht, Nomos Verlag, Baden-Baden, Bd.
1 und Bd. 2, 1988.
- Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht.
Eine Untersuchung zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes,
Nomos Verlag, Baden-Baden 1976 (Habilitationsschrift).
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