Artikel 92 [Gerichtsorganisation]
Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch
das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen
Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.
Artikel 93 [Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts]
(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:
1. über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten
über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder
anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung
eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2. bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und
sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze
oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf
Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eins Drittels der
Mitglieder des Bundestages;
2a. bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraußsetzungen des
Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung
oder der Volksvertretung eines Landes;
3. bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes
und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch
die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4. in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde
und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes,
soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a. über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung
erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte
oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen
Rechte verletzt zu sein;
4b. über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen
Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz,
bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfaßsungsgericht
erhoben werden kann;
5. in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.
(2) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz
zugewiesenen Fällen tätig.
Artikel 94 [Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts]
(1) Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen
Mitgliedern. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur
Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt. Sie dürfen weder dem
Bundestage, dem Bundesrate, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen
eins Landes angehören.
(2) Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt,
in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben. Es kann für
Verfassungsbeschwerden die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung
machen und ein besonderes Annahmeverfahren vorsehen.
Artikel 95 [Oberste Gerichtshöfe des Bundes, Gemeinsamer Senat]
(1) Für die Gebiete der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der
Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit errichtet der Bund als oberste
Gerichtshöfe den Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, den
Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht.
(2) Über die Berufung der Richter dieser Gerichte entscheidet der fÜr
das jeweilige Sachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem
Richterwahlausschuß, der aus den fÜr das jeweilige Sachgebiet zuständigen
Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht,
die vom Bundestage gewählt werden.
(3) Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ein Gemeinsamer
Senat der in Absatz 1 genannten Gerichte zu bilden. Das Nähere regelt
ein Bundesgesetz.
Artikel 96 [Andere Bundesgerichte, Ausübung von Bundesgerichtsbarkeit
durch Gerichte der Länder]
(1) Der Bund kann für Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes
ein Bundesgericht errichten.
(2) Der Bund kann Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte
errichten. Sie können die Strafgerichtsbarkeit nur im Verteidigungsfalle
sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland entsandt
oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind. Das Nähere regelt ein
Bundesgesetz. Diese Gerichte gehören zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministers.
Ihre hauptamtlichen Richter müssen die Befähigung zum Richteramt haben.
(3) Oberster Gerichtshof für die in Absatz 1 und 2 genannten Gerichte
ist der Bundesgerichtshof.
(4) Der Bund kann für Personen, die zu ihm in einem öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnis stehen, Bundesgerichte zur Entscheidung in Disziplinarverfahren
und Beschwerdeverfahren errichten.
(5) Für Strafverfahren auf den Gebieten des Artikels 26 Abs. 1 und des
Staatsschutzes kann ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates vorsehen,
daß Gerichte der Länder Gerichtsbarkeit des Bundes ausüben.
Artikel 97 [Richterliche Unabhängigkeit]
(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.
(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können
wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen
und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit
entlaßsen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine
andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung
kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte
Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte
oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder
aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belaßsung des vollen Gehaltes.
Artikel 98 [Rechtsstellung der Richter in Bund und Ländern]
(1) Die Rechtsstellung der Bundesrichter ist durch besonderes Bundesgesetz
zu regeln.
(2) Wenn ein Bundesrichter im Amte oder außerhalb des Amtes gegen die
Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfaßsungsmäßige Ordnung
eines Landes verstößt, so kann das Bundesverfaßsungsgericht mit Zweidrittelmehrheit
auf Antrag des Bundestages anordnen, daß der Richter in ein anderes Amt
oder in den Ruhestand zu versetzen ist. Im Falle eines vorsätzlichen Verstoßes
kann auf Entlaßsung erkannt werden.
(3) Die Rechtßstellung der Richter in den Ländern ist durch besondere
Landesgesetze zu regeln. Der Bund kann Rahmenvorschriften erlaßsen, soweit
Artikel 74a Abs. 4 nichts anderes bestimmt.
(4) Die Länder können bestimmen, daß über die Anstellung der Richter in
den Ländern der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlaußschuß
entscheidet.
(5) Die Länder können für Landesrichter eine Absatz 2 entsprechende Regelung
treffen. Geltendes Landesverfaßsungsrecht bleibt unberührt. Die Entscheidung
über eine Richteranklage steht dem Bundesverfaßsungsgericht zu.
Artikel 99 [Entscheidung landesrechtlicher Streitigkeiten durch das
Bundesverfassungsgericht und die obersten Gerichtshöfe des Bundes]
Dem Bundesverfassungsgerichte kann durch Landesgesetz die Entscheidung
von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, den in Artikel 95
Abs. 1 genannten obersten Gerichtshöfen für den letzten Rechtszug die
Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden, bei denen es sich um
die Anwendung von Landesrecht handelt.
Artikel 100 [Konkrete Normenkontrolle]
(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung
ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und,
wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die
Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des
Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch,
wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht
oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze
handelt.
(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes
Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten
für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.
(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes
von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes
eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.
Artikel 101 [Verbot von Ausnahmegerichten]
(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen
Richter entzogen werden.
(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet
werden.
Artikel 102 [Abschaffung der Todesstrafe]
Die Todesstrafe ist abgeschafft.
Artikel 103 [Rechtliches Gehör, Verbot rückwirkender Strafgesetze und
der Doppelbestrafung]
(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.
(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich
bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze
mehrmals bestraft werden.
Artikel 104 [Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung]
(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes
und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.
Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt
werden.
(2) Über die Zuläßsigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat
nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung
beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung
herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden
länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam
halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene
ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der
ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit
zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen
mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlaßsen oder die Freilaßsung
anzuordnen.
(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer
einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen
oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.
Index - Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
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