28. Oktober 1986
Entsprechend der Entscheidung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland
und des Präsidenten der Französischen Republik lag der Schwerpunkt der
48. Deutsch-französischen Konsultationen in Frankfurt/M. am 27. und 28.
Oktober 1986 bei der kulturellen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.
Am Ende dieser Konsultationen haben beide Seiten am 28. Oktober 1986 eine
gemeinsame deutsch-französische Erklärung über die kulturelle Zusammenarbeit
angenommen:
Die im politischen, wirtschaftlichen und technologischen Austausch erreichten
Fortschritte müssen von einer Verstärkung der kulturellen Zusammenarbeit
begleitet werden. Indem sie sich besser kennenlernen, vertiefen beide
Länder ihr Einvernehmen und ihre Freundschaft, welche Unterpfand des Friedens
und der Einheit in Europa sind. Sie werden dies erreichen, wenn sie die
ihre Identität bestimmenden Werte anerkennen, ob diese nun der Geschichte
zugehören oder Kennzeichen ihrer Modernität sind. Die enge Verbindung
beider Kulturen ist also eine grundlegende Notwendigkeit.
Seit Unterzeichnung des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit
vom 22. Januar 1963 sind bedeutende Ergebnisse erreicht worden. Zu diesen
Erfolgen haben die beiden Regierungen, die Länder in der Bundesrepublik
Deutschland sowie Körperschaften, Stiftungen und Vereinigungen in beiden
Ländern beigetragen. Das Deutsch-Französische Jugendwerk hat sie in bemerkenswerter
Weise unterstützt.
Einige Beispiele sollen hervorgehoben werden. In der Bundesrepublik Deutschland
hat die Zahl der Schüler mit Französischunterricht zugenommen. In Frankreich
sind bedeutende Anstrengungen zur Vertiefung des Deutschunterrichts unternommen
worden. 1982 wurde das Informations- und Forschungszentrum über das Deutschland
der Gegenwart (Cirac) geschaffen.
Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Films ist intensiviert worden. Heute
zeichnet sich der kulturelle Austausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und Frankreich durch seine Dichte und Vielfalt aus. Deutsche und Franzosen
engagieren sich täglich mehr in dieser Zusammenarbeit.
Gleichwohl bleiben bedeutsame Fortschritte vor dem Hintergrund der Entwicklungen
in der modernen Welt notwendig und auf Grund des hervorragenden deutsch-französischen
Dialogs möglich. Sie betreffen die Bereiche deutsche und französische
Sprache, berufliche Bildung, Hochschulwesen, Wissenschaft, künstlerisches
Schaffen und moderne audiovisuelle Kommunikationsmittel.
Die Zeit ist gekommen, eine neue Etappe der kulturellen Zusammenarbeit
zu beginnen, eine gegenseitige Durchdringung der Kulturen anzustreben
und vom Austausch zu einer vertieften Zusammenarbeit überzugehen. Eine
derartige erneute Belebung der kulturellen Beziehungen wird nicht nur
zu einer Stärkung der Bande zwischen beiden Ländern führen, sondern auch
zu Fortschritten beim Aufbau des Europas der Bürger und zu seiner stärkeren
kulturellen Ausstrahlung in der Welt.
Unter Berücksichtigung der regelmäßig durchgeführten Arbeiten der deutsch-französischen
Expertenkommissionen und im Geiste der von Persönlichkeiten des kulturellen
Lebens auf den beiden Tagungen des deutsch-französischen Kulturforums
im Sommer dieses Jahres geäußerten Überlegungen und Vorschläge haben beide
Seiten sich auf folgende Ziele und Vorhaben geeinigt:
I. Kenntnis der Partnersprache und des Partnerlands
Die Kenntnis der Partnersprache ist Grundvoraussetzung für eine gut funktionierende
Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Die in diesem Bereich durchzuführenden
Aktionen sind vordringlich und werden in klare Einzelmaßnahmen gefaßt
werden. Ein Angebot zum Erlernen der Partnersprache von der Schule bis
zur Universität sowie im außerschulischen Bereich ist geeignet, menschliche
Kontakte und gemeinsame Arbeiten zu erleichtern.
In gemeinsamen Erklärungen des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland
für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische
Zusammenarbeit und des Ministers für nationale Erziehung der Französischen
Republik vom 27. Oktober 1986 sind folgende Vorhaben festgelegt worden:
Die Frühvermittlung der Partnersprache unter Integrierung deutscher und
französischer Erzieher und Lehrer in das Bildungssystem des Partnerlands,
ein Verfahren zum gleichzeitigen Erwerb der deutschen Hochschulreife und
des französischen Baccalauréat an Gymnasien beider Länder außerhalb der
drei deutsch-französischen Gymnasien und
Die Frühvermittlung der Partnersprache unter Integrierung deutscher und
französischer Erzieher und Lehrer in das Bildungssystem des Partnerlands,
ein Verfahren zum gleichzeitigen Erwerb der deutschen Hochschulreife und
des französischen Baccalauréat an Gymnasien beider Länder außerhalb der
drei deutsch-französischen Gymnasien und
Entsprechend den Empfehlungen der Minister für Bildungsfragen der Europäischen
Gemeinschaften sollen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, die es einer
möglichst großen Anzahl von Schülern erlauben, vor Ende der Schulpflicht
praktische Kenntnisse in zwei Fremdsprachen zu erwerben. Unter dieser
Zielsetzung bemüht sich jeder Partner, zumindest in allen Städten mit
über dreißigtausend Einwohnern ein ständiges Unterrichtsangebot für die
Partnersprache - als erste oder zweite Fremdsprache - zu gewährleisten.
Die Schüler und ihre Eltern werden aufgefordert, dieses Angebot verstärkt
zu nutzen.
Die zuständigen Behörden werden Möglichkeiten prüfen, wie die Sollstärke
für die Einrichtungen von Klassen/Kursen in der Partnersprache herabgesetzt
werden kann.
Weitere Maßnahmen müssen eingeleitet werden. Sie zielen auf eine größere
Durchlässigkeit zwischen den Bildungssystemen beider Länder durch eine
regelmäßige Abstimmung der Maßnahmen im Bildungsbereich, insbesondere
auf dem Gebiet der Spracherziehung und auf eine Vertiefung der landeskundlichen
Kenntnisse über das Partnerland durch gemeinsame, pädagogische Projekte
in Trägerschaft von Schulpartnerschaften.
Im Hochschulbereich sollten Kurse der Partnersprache für Hörer aller Fakultäten
und fachspezifische Sprachkurse den Studenten verschiedener Studienrichtungen
angeboten werden.
Die schrittweise Entwicklung von gemeinsamen Zertifikaten, die in beiden
Ländern anerkannt werden, wird unter Beteiligung der Unterrichtsverwaltungen,
der Industrie- und Handelskammern sowie der Erwachsenenbildungseinrichtungen
geprüft. Das Fernsehen kann zur Verbreitung von Sprachkenntnissen beitragen,
z. B. durch das Ausstrahlen untertitelter Filme.
In der politischen, militärischen, kulturellen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen
und technischen Zusammenarbeit sind die Beteiligten aufgefordert, beide
Sprachen zu gebrauchen.
II. Zusammenarbeit in den Bereichen Berufliche Bildung, Hochschulen
und Wissenschaft, Kunst und Kultur
Zur Weiterentwicklung der deutsch-französischen Beziehungen ist eine zunehmende
Zahl von Personen in beiden Ländern erforderlich, die den neuen Verantwortlichkeiten
und Aufgaben, die sich in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur
stellen, in vollem Umfang gewachsen sind.
1) Berufliche Bildung
Eine bessere Vorbereitung der Jugendlichen und Erwachsenen auf die Berufswelt
von morgen ist ein Anliegen beider Länder. Durch das am 27. Oktober 1986
unterzeichnete Regierungsabkommen wird ein allgemeiner Aktionsrahmen für
die Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung vereinbart. Er wird
die Zusammenarbeit zwischen grundlegend verschiedenen Systemen erleichtern
und gemeinsame Aus- und Weiterbildung ermöglichen.
Der Austausch erstreckt sich gegenwärtig auf Auszubildende, berufliche
Vollzeitschüler und Weiterzubildende. Er soll auf mittlere Führungskräfte
ausgedehnt werden, insbesondere im Bereich der neuen Technologien. Beide
Seiten werden auf eine Verdoppelung des Austauschs innerhalb von fünf
Jahren hinarbeiten.
Die Unternehmen beider Länder sind aufgefordert, den Austausch von Weiterzubildenden
auszubauen: Die neue Rechtslage in beiden Ländern eröffnet hierzu erweiterte
Möglichkeiten.
2) Hochschulen und Wissenschaft
Die technologischen und wissenschaftlichen Herausforderungen, vor die
beide Länder gestellt sind, machen eine intensivere Zusammenarbeit in
den eng miteinander verflochtenen Bereichen Bildung und Wissenschaft erforderlich.
Um die wissenschaftliche Zusammenarbeit zu stärken, wird das beim letzten
Gipfel vereinbarte Austauschprogramm PROCOPE über gemeinsame Forschungsprojekte
fortgesetzt. Die deutschen und französischen Datenbanken im Bereich der
wissenschaftlichen und technischen Information werden schrittweise vernetzt
und könnten in eine europäische Zusammenarbeit eingebunden werden.
Im Hochschulbereich sollen die Mobilität der Studenten und der Lehrkräfte
erleichtert und gemeinsame Studienprogramme, insbesondere integrierte
Studiengänge mit beiden nationalen Abschlüssen ausgebaut werden, wobei
der Entwicklung der Technik und den Bedürfnissen der Wirtschaft beider
Länder Rechnung zu tragen ist. Um diese Ziele zu erreichen, wird ein Kolleg
aus deutschen und französischen Persönlichkeiten geschaffen. Hierzu wird
die deutsch-französische Hochschulkommission beiden Seiten im ersten Halbjahr
1987 konkrete Vorschläge vorlegen.
Der Notenwechsel vom 27. Oktober 1986 betreffend die Ausweitung der deutsch-französischen
Vereinbarung vom 10. Juli 1980 über die Befreiung von Studienzeiten, -leistungen
und -prüfungen in den Geistes- und Naturwissenschaften auf Wirtschafts-,
Politik- und Rechtswissenschaften wird die Mobilität der Studenten verbessern.
Die Publikation von Broschüren soll Studenten beider Länder die für den
Aufenthalt im Partnerland notwendigen Informationen vermitteln.
Neue gemeinsame Bildungsmaßnahmen sind zwischen Grandes Ecoles und Instituts
Universitaires de Technologie auf der einen und Technischen Hochschulen/Universitäten
und Fachhochschulen auf der anderen Seite in verschiedenen Bereichen beabsichtigt,
darunter u. a. in Zukunftsbereichen wie Informatik und Robotik.
Um eine profunde Kenntnis der Denkstrukturen und Denkweisen des Partners
zu fördern und zu einem gemeinsamen Herangehen an die Probleme beizutragen,
denen unsere Gesellschaften gegenüberstehen, wird die Zusammenarbeit in
den Geistes- und Sozialwissenschaften, gestützt auf die bestehenden Institutionen,
gestärkt werden, insbesondere durch den Ausbau gemeinsamer Forschungsprogramme,
die Bildung eines gemeinsamen Fonds für bibliographische und dokumentarische
Angaben sowie die Förderung der Übersetzung von wissenschaftlichen Werken.
3) Kunst und Kultur
Die Zusammenarbeit in den Bereichen Kunst und Kultur, seit jeher eine
kulturelle Bereicherung für beide Länder, ist ebenfalls ein grundlegendes
Element für die Annäherung zwischen den Völkern.
Um der Zusammenarbeit zwischen Persönlichkeiten und Institutionen in diesem
Bereich einen neuen Impuls zu verleihen, wird ein deutsch-französischer
Rat aus Persönlichkeiten des Kulturlebens beider Länder gebildet. Er hat
die Aufgabe, Informationen zu koordinieren und Aktivitäten anzuregen.
Seine Arbeitsweise wird später einvernehmlich zwischen beiden Seiten festgelegt.
Gemeinsame Vorhaben sollen in den verschiedenen Bereichen der Kultur durchgeführt
werden.
Der verstärkten Eingliederung junger Künstler und Literaten in das Kulturleben
des Partnerlands wird ein erhöhtes Angebot an Stipendiaten und Praktika
dienen.
Im Bereich der darstellenden Kunst, der Musik, der bildenden Kunst, der
Museen und des Denkmalschutzes sollen z. B. deutsch-französische Festspiele,
ein Ballettwettbewerb und gemeinsame Kunstausstellungen durchgeführt werden.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe wird die Möglichkeiten einer systematischen
Zusammenarbeit bei der Erforschung und Beseitigung umweltbedingter Schäden
an Kulturdenkmälern prüfen.
Durch vermehrte Schriftsteller-, Übersetzer- und Verlegertreffen, die
Förderung zweisprachiger Ausgaben, die Vergabe eines jährlichen Übersetzerpreises
und die Abhaltung einer deutsch-französischen Literaturtagung 1987/88
wird eine gemeinsame Politik zur Verbreitung der Literatur des Partnerlandes
betrieben.
Die Zusammenarbeit zwischen der Nationalbibliothek in Paris und der Deutschen
Bibliothek in Frankfurt sowie anderen großen deutschen Bibliotheken wird
verbessert.
Berlin wird 1988, Paris 1989 Europäische Stadt der Kultur sein. Dies bietet
eine erneute Gelegenheit zu kultureller Zusammenarbeit.
Um die bestehende gute Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Films zu stärken,
wird die Gemischte Deutsch-Französische Filmkommission beauftragt, die
bestehenden drei Abkommen über Koproduktionen und Absatzförderung den
filmwirtschaftlichen Entwicklungen möglichst bald anzupassen und sie zu
erweitern.
Die deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Films soll
ein Modell kultureller und wirtschaftlicher Zusammenarbeit in Europa sein.
Beide Seiten werden ihre Erfahrungen auch mit dem nichtgewerblichen Filmvertrieb
regelmäßig austauschen.
Die zuständigen Verwaltungsbehörden beider Länder werden sich um geeignete
Maßnahmen bemühen, um die Grenzformalitäten für den Austausch und die
deutsch-französische Zusammenarbeit zu erleichtern
III. Fernsehen
Die Entwicklungen im Medienbereich und vor allem auf dem Gebiet des Kabel-
und Satellitenfernsehens eröffnen künftig besondere Möglichkeiten des
Dialogs zwischen den Völkern. Im Bewußtsein der grundsätzlichen Bedeutung
dieses Wandels für die kulturelle Zukunft Europas und der damit einhergehenden
beträchtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen sind beide Seiten der Auffassung,
daß hierin eine zusätzliche Möglichkeit für die deutsch-französische Zusammenarbeit
liegt. Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, die deutsch-französische Freundschaft
zu vertiefen und zur kulturellen Identität und Vielfalt Europas beizutragen.
Die bestehende deutsch-französische Konsultationsgruppe wird daher beauftragt,
unter Hinzuziehung von Sachverständigen im Frühjahr 1987 einen Bericht
darüber zu erstatten, wie gemeinsame Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen
und privaten Fernsehveranstalter beider Länder bei der Ausbildung von
Fachleuten für Bild- und Tonberufe, der Koproduktion und dem Austausch
von Programmen sowie europäischen Programmvorhaben verwirklicht werden
können. Mit gleicher Zielsetzung wird auch so bald wie möglich im Jahre
1987 die Problematik eines europäischen Fernsehprogramms geprüft werden.
Nur wenn die Bürger selbst tätig werden, läßt sich die Durchdringung der
Kulturen im Sinne dieser Erklärung verwirklichen. Die Kultur-, Dokumentations-
und Forschungsinstitute beider Länder sowie das Deutsch-Französische Jugendwerk,
bewährte Einrichtungen in der deutsch-französischen kulturellen Zusammenarbeit,
sind aufgefordert, auch künftig ihren besonderen Beitrag zur Entwicklung
dieser Zusammenarbeit zu leisten.
Beide Seiten werden zur Verwirklichung der Ziele dieser Erklärung die
nach dem Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit vom 22.
Januar 1963 bestehenden Instrumente einsetzen.
Beide Regierungen nehmen in drei Jahren eine Bewertung der erzielten Ergebnisse
vor.
Verträge, Abkommen, Verfassungen...
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